Rom: Band 1
hartnäckig wie am ersten Tage auf seine Rechte an Rom bestand. Aber er bildete sich ein, daß dies nur eine einfache Attitüde, ein von politischen Gründen aufgedrungenes Verhalten sei, und daß es verschwinden würde, sobald die Stunde dafür schlug. Er war überzeugt, daß der Papst, der noch niemals so groß erschienen war wie jetzt, gerade dem Verlust der weltlichen Macht diese Erweiterung seiner Autorität, diese reine Pracht moralischer Allmacht verdankte. Welch lange Reihe von Irrtümern und Konflikten bot seit fünfzehnhundert Jahren die Geschichte des Besitzes dieses kleinen römischen Königreiches! Im vierten Jahrhundert verläßt Konstantin Rom; auf dem leeren Palatin bleiben nur ein paar vergessene Würdenträger zurück, und der Papst bemächtigt sich natürlicherweise der Macht. Das Leben der Stadt zieht sich in den Lateran. Aber erst vier Jahrhunderte später anerkennt Karl der Große die vollzogene Thatsache, indem er dem Papst formell die Kirchenstaaten schenkt. Von da ab hört der Krieg zwischen der geistlichen Macht und den weltlichen Mächten nicht mehr auf. Oft ist er heimlich, zumeist zugespitzt, voll Blut und Flammen. Aber ist es nicht unvernünftig, heutigentags von einem Papsttum zu träumen, das inmitten des bewaffneten Europa zugleich der König eines Fetzen Landes wäre, wo es allen Aergernissen ausgesetzt, wo es nur durch eine fremde Armee erhalten werden könnte? Was würde aus ihm in dem allgemeinen Massacre, das man befürchtet? Um wie viel geschützter, würdiger und hoher ist seine Stellung, wenn es, von allen irdischen Sorgen frei, nur über die Welt der Seelen herrscht! In den ersten Zeiten der Kirche hat sich das Papsttum, zuerst ganz lokal, rein römisch, nach und nach, indem es seine Herrschaft über die gesamte Christenheit ausbreitete, universalisirt. In gleicher Weise ist auch das heilige Kollegium, anfangs die Fortsetzung des römischen Senates, später international geworden, so daß es heutigentags die universellste aller Versammlungen ist. Mitglieder aller Nationen sitzen in ihm. Und ist es nicht augenscheinlich, daß der derart auf die Kardinäle gestützte Papst die einzige, große internationale Autorität geworden ist? Und diese Autorität ist um so mächtiger, als sie von monarchischen Interessen befreit ist und im Namen der Menschheit spricht, ja sogar über dem Begriff des Vaterlandes steht. Die vielgesuchte Lösung, um die so lange Kriege geführt wurden, besteht sicherlich nur darin: entweder muß man dem Papst die weltliche Herrschaft über die ganze Welt geben, oder man darf ihm nur die geistige Herrschaft lassen. Wenn er, der Herr über die Seelen, nicht von allen Völkern als der einzige Herr über die Körper, der König der Könige, anerkannt wird, dann muß der Stellvertreter Gottes, als göttlicher Delegat ein absoluter und unfehlbarer Souverän, im Heiligtum bleiben.
Aber wie seltsam war dieses neue Sprossen des Papsttums auf dem von der französischen Revolution bestellten Felde! Vielleicht führt dieses jene Herrschaft herbei, die zu wollen, es seit so vielen Jahrhunderten aufrecht erhält! Denn jetzt steht es allein dem Volke gegenüber. Die Könige sind niedergeworfen; dem Volke steht es frei, sich dem hinzugeben, der ihm paßt – warum sollte es sich nicht dem Papsttum hingeben? Die feststehende Abbröcklung, die der Freiheitsgedanke erlitt, gibt das Recht, alles zu hoffen. Die liberale Partei scheint auf dem ökonomischen Terrain besiegt zu sein. Die Arbeiter, mit 1789 unzufrieden, beklagen sich über ihr Elend, das schlimmer geworden ist; sie regen sich und suchen verzweifelt ihr Glück. Andererseits haben die neuen Regierungsformen die internationale Macht der Kirche erhöht; in den Parlamenten der Republiken und konstitutionellen Monarchien sitzen Katholiken in großer Anzahl. Alle Umstände scheinen also das außerordentliche Glück des alternden, zu neuer Jugendkraft gelangten Katholizismus zu begünstigen. Bis zur Wissenschaft, der man den Bankerott vorwirft, beunruhigt das, was den Syllabus vor der Lächerlichkeit rettet, alle Geister, eröffnet wieder das unbegrenzte Feld des Geheimnisvollen und Unmöglichen. Und da erinnert man sich einer Prophezeiung, die besagt, daß das Papsttum Herr der Erde sein würde, wenn es nach der Vereinigung der orientalisch-schismatischen Kirchen mit der apostolischen römisch-katholischen Kirche an der Spitze der Demokratie einherschreiten werde. Da nun die Zeit gekommen war, mochte der Papst die Reichen
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