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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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töchterliche Zärtlichkeit bewahrte. Und in der That, als er ihr nach dem Frühstück die Verlegenheit, in der er sich befand, mitteilte, rief sie gleich bei seinen ersten Worten laut:
    »Aber, Herr Abbé, gehen Sie nur, gehen Sie rasch! Sie wissen, der alte Orlando ist eine unserer Nationalzierden, Wundern Sie sich nicht, daß ich ihn so nenne, ganz Italien gibt ihm aus Liebe und Dankbarkeit diesen zärtlichen Beinamen. Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, die ihn verabscheute, für einen Satan hielt. Erst später lernte ich ihn kennen und lieben. Er ist der sanfteste und gerechteste Mensch, den es auf Erden gibt.«
    Sie begann zu lächeln, während verschwiegene Thränen ihre Augen feuchteten; zweifellos bewirkte das die Erinnerung an das stürmische Jahr, das sie in jenem Hause verbracht hatte, wo sie, außer in der Nähe des Greises, keine friedliche Stunde gekannt hatte. Und mit leiserer, etwas zitternder Stimme fügte sie hinzu:
    »Da Sie ihn sehen werden, so sagen Sie ihm m meinem Namen, daß ich ihn noch immer liebe und nie seine Güte vergessen werde, was auch kommen möge.«
    Wahrend Pierre in die Via Venti Settembre fuhr, beschwor er in Gedanken die ganze Heldengeschichte des alten Orlando herauf, die er sich hatte erzählen lassen. Sie war das reine Epos und versetzte ihn in die Gläubigkeit, Tapferkeit und Uneigennützigkeit eines andern Zeitalters.
    Der Graf Orlando Prada, einer edlen Mailänder Familie entstammend, wurde schon in frühester Jugend von einem solchen Haffe gegen die Fremden verzehrt, daß er im Alter von kaum fünfzehn Jahren einer geheimen Gesellschaft, einer der Verzweigungen des alten Carbonaritums, angehörte. Dieser Haß gegen die österreichische Herrschaft war alt und rührte noch aus der Zeit der Revolten gegen die Knechtschaft her, als die Verschwörer sich in verlassenen Hütten in der Tiefe der Wälder versammelten. Dieser Haß wurde noch gesteigert durch den hundertjährigen Traum von einem befreiten, sich selbst wiedergegebenen Italien, das endlich wieder die große, herrschende Nation, die würdige Tochter der einstigen Besieger und Herren der Welt werden sollte. Ach, welch feuriger, herrlicher Traum, dieses glorreiche Land von einst, dieses entgliederte, zerstückelte, einer Menge von kleinen Tyrannen preisgegebene, von den Nachbarnationen fortwährend Überfallene und an sich gerissene Italien aus seiner langen Schmach zu reißen! Die Fremden schlagen, die Despoten verjagen, das Volk aus dem niedrigen Elend seiner Sklaverei wecken, das freie, das einige Italien verkünden – das war die Leidenschaft, die damals mit unauslöschlichen Flammen in der ganzen Jugend aufloderte, die das Herz des jungen Orlando vor Begeisterung sprengte. Er verlebte sein Jünglingsalter in heiliger Empörung, in der stolzen Ungeduld, dem Vaterlande sein Blut hinzugeben und für dasselbe zu sterben, wenn er es nicht befreien konnte. Orlando lebte zurückgezogen in seinem alten Familienhause in Mailand, zitterte unter dem Joch und verlor seine Zeit mit ergebnislosen Verschwörungen. Er hatte eben geheiratet und war fünfundzwanzig Jahre alt, als die Nachricht von der Flucht Pius' IX. und der Revolution in Rom eintraf. Jählings verließ er alles, das Haus, die Frau, um, wie von der Stimme seines Schicksals gerufen, nach Rom zu eilen. Es war das erstemal, daß er so auszog, um der Unabhängigkeit den Weg zu bahnen. Wie oft sollte er sich wieder aufmachen, ohne je zu ermüden! Damals lernte er Mazzini kennen und begeisterte sich einen Augenblick für die mystische Gestalt dieses für die Einheit begeisterten Republikaners. Da er selbst von einer allgemeinen Republik träumte, adoptirte er die Devise Mazzinis: » Dio o popolo «, und folgte der Prozession, die mit großem Gepränge das aufrührerische Rom durchzog, Es war eine Epoche voll ungeheurer Hoffnungen, die bereits von dem Bedürfnis nach einer Erneuerung des Katholizismus gequält wurde und in Erwartung eines menschlichen Christus lebte, der beauftragt war, die Welt zum zweitenmal zu retten. Bald aber riß ihn ein Mann, Garibaldi, damals in der Morgenröte seines epischen Ruhmes stehend, gänzlich an sich, und machte aus ihm einen bedingungslosen Soldaten der Freiheit und Einigkeit. Orlando liebte ihn wie einen Gott, schlug sich an seiner Seite wie ein Held, nahm an dem Siege bei Rieti über die Neapolitaner teil und folgte dem hartnäckigen Patrioten auf seinem Rückzuge, als er sich, gezwungen Rom der französischen Armee des

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