Rom: Band 1
später, im Falle es niemand gelingt, werde ich Ihnen eine Audienz verschaffen. Ich verpflichte mich förmlich dazu... Aber mittlerweile bitte ich Sie, den Ausdruck ›neue Religion‹ zu vermeiden, der sich unglücklicherweise in Ihrem Buche findet. Auch gestern abend habe ich ihn von Ihnen gehört. Mein liebes Kind, es kann keine neue Religion geben: es gibt nur eine ewige Religion, bei der ein Kompromiß oder ein Aufgeben unmöglich ist, nämlich die römisch – katholisch – apostolische. Desgleichen lassen Sie Ihre Pariser Freunde, wo sie sind; rechnen Sie nicht allzusehr auf den Kardinal Bergerot, dessen große Frömmigkeit in Rom nicht genügend geschützt wird ... Ich versichere Sie, ich sage das als Ihr Freund.«
Als er dann jedoch sah, daß Pierre ganz verzagt, und wie zerschlagen war, und nicht mehr wußte, von welcher Seite er den Feldzug eröffnen solle, tröstete er ihn wieder.
»Nun, nun, es wird schon gehen. Alles wird aufs beste enden, zum Wohle der Kirche und zu Ihrem eigenen Wohle ... Aber jetzt bitte ich Sie um Verzeihung, ich muß Sie verlassen. Ich werde Seine Eminenz heute nicht sprechen, denn es ist mir unmöglich, länger zu warten.«
Abbé Paparelli, der, wie es Pierre schien, lauernd hinter ihnen umherstrich, stürzte herbei und schwur Monsignore Rani, daß nicht mehr als zwei Personen vor ihm seien. Aber der Prälat versicherte sehr freundlich, daß er wieder kommen werde; die Angelegenheit, von der er mit Seiner Eminenz zu reden habe, hätte durchaus keine Eile. Und er entfernte sich, indem er alle Anwesenden höflich grüßte.
Fast gleich darauf kam die Reihe an Narcisse. Ehe er in den Thronsaal eintrat, drückte er Pierre die Hand und wiederholte:
»Also abgemacht. Ich werde morgen meinen Vetter im Vatikan aufsuchen, und sobald ich irgend eine Antwort habe, teile ich sie Ihnen mit... Auf Wiedersehen.«
Mittag war vorüber; niemand war mehr übrig als eine der beiden alten Damen, die zu schlafen schien. Don Vigilio beschrieb an seinem kleinen Sekretärtisch noch immer mit seiner kleinen Handschrift ungeheure gelbe Bogen. Und nur von Zeit zu Zeit hob er seine dunklen Augen vom Papier, wie um sich in seinem ewigen Mißtrauen zu überzeugen, daß nichts ihn bedrohe.
Von neuem entstand eine düstere Stille. Pierre blieb noch einen Augenblick unbeweglich in der tiefen Fensternische stehen. Ach, wie geängstigt war seine arme, empfindliche Schwärmerseele! Als er Paris verließ, war ihm alles so einfach, so natürlich erschienen. Man klagte ihn ungerecht an: nun, er reiste ab, um sich zu rechtfertigen, würde in Rom ankommen, sich dem Papst zu Füßen werfen und dieser ihn nachsichtig anhören. War denn der Papst nicht die lebende Religion, der verständnisvolle Geist, die wahrheilliebende Gerechtigkeit? Und war er nicht vor allem der Vater, der Abgesandte der unendlichen Vergebung, des göttlichen Erbarmens, dessen Arme sich allen Kindern der Kirche, selbst den schuldigen, entgegenbreiteten? Mußte er seine Thür nicht weit offen stehen lassen, damit die geringsten seiner Söhne eintreten konnten, ihr Leid zu klagen, ihre Schuld zu bekennen, ihr Benehmen zu erklären, aus der Quelle der ewigen Güte zu trinken? Aber gleich vom ersten Tage seiner Ankunft an schlossen sich gewaltsam alle Thüren; er geriet in eine feindliche, von Abgründen versperrte Welt, die voll von Fallen war. Alles rief ihm Warnungen zu, als setze er sich den ernstesten Gefahren aus, wenn er den Fuß vorwage. Sein Wunsch, den Papst zu sehen, erschien als eine übertriebene Anmaßung, eine so schwierige Sache, daß sie die Interessen, die Leidenschaften, die Einflüsse des gesamten Vatikans in Bewegung setzte. Endlose Ratschlage, lange erörterte Schlauheiten, die Taktiken von Generalen, die eine Armee zum Siege führen, unaufhörlich neu entstehende Verwicklungen inmitten von tausenderlei Intriguen, deren verborgenes Wuchern man unten erriet! O, großer Gott, wie anders war das als der erwartete liebreiche Empfang, als das Haus des Hirten am Wege, das allen Schafen, den gehorsamen wie den verirrten, offen steht!
Pierre begann zu erschrecken, denn er spürte, daß etwas Böses sich wirr im Dunkeln bewegte. Wie, der Kardinal Bergerot galt als verdächtig, als revolutionär, für so kompromittirend, daß man ihm riet, seiner nicht mehr zu erwähnen? Er erinnerte sich an das verächtliche Mundverziehen des Kardinals Boccanera, als er von seinem Kollegen sprach. Und Monsignore Nani, der ihn warnte, den Ausdruck von
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