Rom: Band 1
Meerenge und nahm an seiner Seite an dem triumphirenden Einzug in Neapel teil, dessen König sich geflüchtet hatte. Es war der Wahnsinn der Kühnheit und Tapferkeit, der Ausbruch des Unvermeidlichen; allerlei Geschichten von übermenschlichen Thaten gingen in der Runde: Garibaldi sei unverletzlich, von seinem roten Hemde besser als durch den dicksten Panzer geschützt, Garibaldi jage die feindlichen Armeen wie ein Erzengel durch das bloße Schwingen seines stammenden Schwertes in wilde Flucht. Die Piemontesen, die ihrerseits den General Lamoricière bei Castelfidardo geschlagen hatten, waren in die römischen Staaten eingedrungen. Und Orlando war dabei, als der Diktator, seine Macht niederlegend, das Dekret der Einverleibung beider Sizilien in die italienische Krone unterschrieb, ebenso wie er an dein leidenschaftlichen Aufschrei »Rom oder den Tod«, an jenem verzweifelten Versuche teilnahm, der so tragisch bei Aspromonte endete. Die kleine Armee ward von den italienischen Truppen zerstreut, Garibaldi verwundet, gefangen und in die Einsamkeit seiner Insel Caprera zurückgeschickt, wo er nur noch ein einfacher Landmann blieb.
Die darauf folgenden sechs Jahre des Wartens verlebte Orlando in Turin, selbst nachdem Florenz zur neuen Hauptstadt gewählt worden war. Der Senat hatte Viktor Emanuel zum König von Italien ausgerufen und in der That, Italien war geschaffen; es fehlten nur noch Rom und Venedig. Die großen Kämpfe schienen zu Ende zu sein, die Aera der Epopöe war abgeschlossen. Venedig wurde Italien durch die Niederlage geschenkt. Orlando machte die unglückliche Schlacht von Custozza mit, wo er zwei Wunden erhielt und sein Herz durch den schmerzlichen Gedanken, Oesterreich könne siegen, noch tödlicher getroffen ward. Aber in demselben Moment verlor dieses, bei Sadowa geschlagen, Venetien, und fünf Monate später nahm er an der Siegesfreude in Venedig teil, als Viktor Emanuel unter dem frenetischen Jubel des Volkes dort seinen Einzug hielt. Nur Rom fehlte noch; eine rasende Ungeduld riß das gesamte Italien zu ihm hin und nur der Schwur des befreundeten Frankreich, den Papst zu stützen, hielt es auf. Zum drittenmal wollte Garibaldi die legendenhaften Heldenthaten erneuern; frei von allen Banden, nur ein vom Patriotismus erleuchteter Freibeuterhauptmann stürzte er sich auf Rom. Und zum drittenmale nahm Orlando an diesem Heldenwahnsinn teil, der bei Mentana an den von einem kleinen französischen Corps unterstützten päpstlichen Zuaven zerschellen sollte. Von neuem verwundet, kehrte er beinahe sterbend nach Turin zurück. Man mußte sich mit zuckendem Herzen ergeben; die Lage war unlöslich. Da mit einemmale fuhr der Donnerschlag bei Sedan herab; Frankreich war vernichtet und der Weg nach Rom wurde wieder frei. Orlando, in das reguläre Heer zurückgekehrt, gehörte zu den Truppen, die in der römischen Campagna Aufstellung nahmen, um gemäß den Bedingungen des Briefes, den Viktor Emanuel an Pius IX. geschrieben, über die Sicherheit des Heiligen Stuhles zu wachen. Es war übrigens nur ein Scheingefecht: die päpstlichen Zuaven des Generals Kanzler mußten sich beugen und Orlando war einer der eisten, der durch die Bresche von Porta Pia in die Stadt eindrang. O, dieser zwanzigste September! Das war der Tag, an dem er das größte Glück seines Lebens empfand, ein Tag der Begeisterung, ein Tag vollständigen Triumphes, an dem sich der Traum so vieler Jahre schrecklicher Kampfe verwirklichte, für den er seine Ruhe, sein Vermögen, seinen Geist und seinen Leib hingegeben hatte!
Hierauf kamen noch mehr als zehn glückliche Jahre in dem eroberten Rom, in dem Rom, das wie eine Frau, auf die man alle Hoffnung gesetzt hat, angebetet, geschont und umschmeichelt ward. Er erwartete von ihm eine große nationale Kraft, eine wunderbare Auferstehung von Stärke und Ruhm für die junge Nation. Der ehemalige Republikaner, der ehemalige Insurgent mußte sich ralliren und einen Sitz im Senat annehmen: war denn nicht Garibaldi selbst, sein Gott, im Begriffe, dem Könige einen Besuch abzustatten und seinen Platz im Parlamente einzunehmen? Nur der intransigente Mazzini hatte nichts von einem unabhängigen und einigen Italien, das nicht auch eine Republik war, wissen wollen. Auch noch ein anderer Grund hatte Orlando dazu bewogen: die Zukunft seines Sohnes Luigi, der am Tage nach dem Einzug in Rom achtzehn Jahre alt geworden war. Wenn er sich auch mit den Brosamen seines einstigen, im Dienste des Vaterlandes aufgegangenen
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