Rom: Band 1
von Säulen, Ballonen, Giebeln, Skulpturen, ein cyklopischer Würfel, eine ganze, maßlose Welt, vom Steinwahnsinn an einein stolzen Tage erzeugt. Und hier, gegenüber, etwas weiter oben, ehe man zur Villa Bonaparte gelangte, befand sich der kleine Palast des Grafen Prada.
Nachdem Pierre seinen Kutscher bezahlt hatte, hielt er einen Augenblick verlegen an. Da die Thüre offen stand, war er in die Vorhalle getreten, aber niemand, weder ein Portier noch ein Diener war zu sehen. Er mußte sich entschließen, in den ersten Stock zu steigen. Die monumentale Treppe mit dem Geländer aus Marmor gab in kleinem Maßstab die übertriebenen Dimensionen der Ehrentreppe im Palast Boccanera wieder; es war dieselbe kalte Nacktheit wie dort, gemäßigt durch rote Teppiche und rote Vorhänge, die grell von dem weißen Stuck der Mauern abstachen. Im ersten Stockwerk befanden sich die fünf Meter hohen Empfangsräume; durch eine halb offene Thür erblickte er zwei in einander gehende Salons, die mit ganz moderner Pracht, verschwenderisch mit Behängen aus Sammet und Seide, vergoldeten Möbeln und hohen Spiegeln ausgestattet waren, die die prunkvolle Masse der Konsolen und Tische widerspiegelten. Und noch immer sah er keinen Menschen, keine Seele in diesem gleichsam verlassenen Hause, dem die Frau zu fehlen schien. Er wollte wieder hinunter gehen, um zu klingeln, als endlich ein Lakai erschien.
»Bitte, ich möchte den Herrn Grafen Prada sprechen.«
Der Lakai betrachtete schweigend den kleinen Priester und schien zu verstehen.
»Vater oder Sohn?«
»Den Vater, den Herrn Grafen Orlando Prada.«
»Im dritten Stock.«
Dann ließ er sich herab, eine Erklärung hinzuzufügen.
»Die kleine Thür rechts am Treppenabsatz. Klopfen Sie fest an, sonst öffnet man Ihnen nicht.«
In der That mußte Pierre zweimal klopfen. Ein kleiner, ganz ausgetrockneter Mann mit militärischer Haltung, ein ehemaliger Soldat des Grafen, der in seinem Dienste geblieben war, öffnete ihm; er sagte zu seiner Entschuldigung, weil er nicht gleich geöffnet hatte, daß er im Begriffe gewesen sei, die Beine seines Herrn in die richtige Lage zu bringen. Er meldete den Besucher sofort an, und dieser wurde, als er ein dunkles, sehr schmales Vorzimmer durchschritten hatte, von dem Gemach, das er nun betrat, ganz betroffen. Es war ein verhältnismäßig kleines, ganz kahles, mit einer einfachen hellen, blaugeblümten Papiertapete ausgestattetes Zimmer. Hinter einem Wandschirm befand sich ein Eisenbett, ein echtes Soldatenlager; sonst waren keine Möbel vorhanden, nichts als ein Lehnstuhl, in dem der Kranke seine Tage verbrachte, daneben ein mit Zeitungen und Büchern bedeckter, schwarzer hölzerner Tisch und zwei alte Strohsessel, die für die seltenen Besucher bestimmt waren. Einige Bretter an der einen Wand nahmen die Stelle des Bücherschrankes ein. Aber das breite, helle Fenster, das keinen Vorhang besaß, ging auf das wunderbarste Panorama von Rom hinaus, das man sehen kann.
Dann verschwand das Zimmer und Pierre sah in plötzlicher tiefer Bewegung nur noch den alten Orlando. Er glich einem alten, weißhaarigen, noch prächtigen, sehr starken, sehr großen Löwen. Ein Wald von weißen Haaren auf einem mächtigen Haupte mit dicken Lippen, einer starken, zerdrückten Nase und großen, funkelnden schwarzen Augen; ein langer, weißer, jugendlich kräftiger Bart, gekräuselt wie der eines Gottes. Man erriet, daß in diesem Löwenkopfe furchtbare Leidenschaften getobt haben mußten, aber alle diese Leidenschaften, die fleischlichen wie die geistigen, hatten ihren Ausbruch im Patriotismus, in toller Bravour und unmäßiger Liebe zur Unabhängigkeit gefunden. Und so war der alte, vom Blitz getroffene Held auf seinem Strohsessel angenagelt; der Oberleib war noch gerade und hoch aufgerichtet, die toten Beine aber waren unter einer schwarzen Decke verschwunden. Nur die Arme, die Hände lebten; nur das Gesicht leuchtete von Kraft und Intelligenz.
»Batista, Du kannst gehen,« wandte sich Orlando sanft zu seinem Diener. »In zwei Stunden komm wieder.«
Dann sah er Pierre fest ins Gesicht und rief mit einer trotz seiner sechsundsechzig Jahre kräftigen Stimme:
»Also endlich, mein lieber Herr Froment! Wir können nun mit Muße plaudern ... Da, nehmen Sie diesen Stuhl, setzen Sie sich vor mich hin.«
Er bemerkte jedoch den überraschten Blick, den der Priester auf das kahle Zimmer warf und fügte munter hinzu:
»Sie werden mir verzeihen, daß ich Sie in meiner Zelle
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