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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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ganze tolle Hoffnung, die mich mit fünfundzwanzig Jahren erfüllte: die Hoffnung, daß die Religion Christi die Pacifizirung der Welt durch das Evangelium vollziehe. Wissen Sie, daß Mazzini schon lange vor Ihnen die Erneuerung des Katholizismus wollte? Er schob das Dogma und die Disziplin auf die Seite und behielt nur die Moral zurück. Und das neue Rom, das Rom des Volkes gab er der Universalkirche, in der alle Kirchen der Vergangenheit sich verschmelzen sollten, zum Sitz; Rom, die ewige, die prädestinirte Stadt, die Mutter und Königin, deren Herrschaft zum endgiltigen Glück der Menschen wieder erstand! Ist es nicht sonderbar, daß der gegenwärtige Neukatholizismus, das Erwachen des Spiritualistischen, die Idee der christlichen Gemeinde, der christlichen Nächstenliebe, mit der man so viel Lärm macht, nichts als eine Rückkehr zu den mystischen und humanen Ideen von 1848 ist? Ach, ich habe all das gesehen, ich habe geglaubt und gekämpft und weiß, in welch schöne Patsche uns dieses Aufschwingen in das Blau des Geheimnisvollen geführt hat. Was wollen Sie! Ich habe eben kein Vertrauen mehr.«
    Da Pierre nun ebenfalls in Eifer geraten und antworten wollte, unterbrach er ihn.
    »Nein, lassen Sie mich ausreden. Ich will Sie bloß völlig überzeugen, wie unbedingt notwendig es für uns war, Rom zu erobern und zur Hauptstadt von Italien zu machen. Ohne Rom konnte das neue Italien nicht sein. Es war der alte Ruhm; es hielt in seinem Staube die souveräne Macht fest, die wir wieder einsetzen wollten; es gab dem, der es besaß, Kraft, Schönheit, Ewigkeit. Im Mittelpunkt des Landes gelegen, war es dessen Herz und mußte sein Leben werden, sobald es aus dem langen Schlummer seiner Ruinen erweckt worden war. Ach, wie sehnten wir uns nach ihm inmitten unserer Siege und Niederlagen, während der Jahre schrecklicher Ungeduld! Ich, ich habe es mehr als jedwedes Weib geliebt und ersehnt; mein Blut brannte, ich war verzweifelt, weil ich alterte. Und als wir es endlich besaßen, da wollten wir es in unserer Narrheit prächtig, ungeheuer, zur Herrscherin, den anderen großen Hauptstädten Europas, Berlin, Paris, London, gleich machen. Sehen Sie es an. Es ist noch immer meine einzige Liebe, mein einziger Trost – heute, da ich tot bin, da nichts mehr an mir lebt als die Augen.«
    Er hatte mit derselben Geberde wieder auf das Fenster gedeutet. Unter dem tiefen Himmel streckte sich Rom, von den schrägen Sonnenstrahlen ganz vergoldet, ins Unendliche hin. Ganz in der Ferne schlossen die Baume des Janiculus den Horizont mit ihrem hell smaragdgrünen Gürtel ab, während weiter links der Dom von St. Peter blaßblau einem in zu hellem Licht erblichenen Saphir glich. Dann kam die untere Stadt, die Altstadt, rot, wie verbrannt von Jahrhunderten glühender Sommer; sie war dem Auge so wohlgefällig, so schön in dem tiefen Leben der Vergangenheit, ein grenzenloses Chaos von Dächern, Taubenschlägen, Türmen, Campanilen und Kuppeln! Aber im Vordergrunde, unter dem Fenster lag die neue Stadt, die, welche man seit fünfundzwanzig Jahren baute – über einander gehäufte, noch kreidige Würfel von Mauerwerk, die weder die Sonne noch die Geschichte mit ihrem Purpur umhüllt hatten. Besonders die Dächer des gewaltigen Finanzministeriums breiteten sich in grausamer Häßlichkeit wie unendliche, bleiche Steppen aus. Auf diese trostlosen Neubauten hatten sich schließlich die Blicke des alten Soldaten aus der Eroberungszeit geheftet.
    Ein Schweigen entstand. Pierre fühlte die leichte Kälte der verborgenen, uneingestandenen Trauer über sich hinziehen; er wartete höflich.
    »Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Ihnen das Wort abschnitt,« hob Orlando wieder an. »Aber es scheint mir, daß wir von Ihrem Buche nicht in nützlicher Weise reden können, ehe Sie Rom nicht aus der Nähe gesehen und studirt haben. Sie sind erst seit gestern hier, nicht wahr? Schlendern Sie in der Stadt herum, schauen, fragen Sie und ich glaube, viele Ihrer Ideen werden sich ändern. Ich warte vor allem den Eindruck ab, den der Vatikan auf Sie machen wird; Sie sind ja einzig und allein gekommen, um den Papst zu sehen und Ihr Werk vor dem Index zu verteidigen. Wozu sollten wir uns schon heute in Erörterungen einlassen, da die Thatsachen selbst Sie auf ganz andere Ideen bringen werden, weit besser als ich es durch die schönsten Reden von der Welt zu thun vermöchte. Also abgemacht, Sie kommen wieder, und dann werden wir wissen, wovon wir zu sprechen haben.

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