Rom: Band 1
Säle, deren Verwendung unbekannt ist. Alle diese von der neuen Administration in gutem Stand erhaltenen, gefegten und vom Unkraut befreiten Ruinen haben ihre romantische Wildheit verloren, um eine kahle, düstere Größe anzunehmen. Aber die Strahlen der lebenden Sonne vergoldeten die alten Mauern, drangen durch die Breschen in die Tiefe der schwarzen Säle und belebten mit ihren blendenden Stäubchen die stumme Schwermut dieser toten Majestät, die aus der Erde ausgegraben ward, wo sie seit Jahrhunderten geschlummert. Ueber das alte rötliche, aus mörtelbelegten Ziegeln gebildete und seiner prunkvollen Marmorbekleidung beraubte Mauerwerk legte der Purpurmantel der Sonne von neuem eine kaiserliche Glorie.
Pierre wanderte nun bereits seit anderthalb Stunden umher und hatte noch die Masse der vorderen Paläste auf der Plattform selbst, gegen Norden und Osten, zu besichtigen.
»Wir müssen zurückgehen,« sagte der Führer. »Sie sehen, die Garten der Villa Mills und das Kloster S. Bonaventura verlegen uns den Weg. Man wird erst durchgehen können, wenn die Ausgrabungen diese ganze Seite bloßgelegt haben werden. Ach, Herr Abbé, wenn Sie vor kaum fünfzig Jahren auf dem Palatin spazieren gegangen wären! Ich habe die Pläne aus jener Zeit gesehen. Da waren nichts als Weingärten, nichts als kleine, von Hecken durchschnittene Gärten, die richtige Campagna, eine wahre Wüste, wo man keiner Menschenseele begegnete. Wer hätte gedacht, daß alle diese Paläste da drunten schliefen!«
Pierre folgte ihm; sie schritten aufs neue an dem Hause des Augustus vorüber, gingen zurück und traten in das Hans der Flavier. Es war ungeheuer groß, noch zur Hälfte unter der benachbarten Villa verborgen und bestand aus einer Menge von großen und kleinen Sälen, über deren Bestimmung man noch immer stritt. Der Thronsaal, der Gerichtssaal, der Speisesaal, das Peristyl schienen festgestellt zu sein. Aber das übrige ist alles nur Spiel der Phantasie, besonders was die schmalen Räume der Privatgemächer betrifft. Außerdem ist nicht eine Mauer ganz; man sieht nichts als hervorschauende Fundamente, verstümmelte Grundmauern, die am Boden den Plan des Gebäudes bezeichnen. Die einzige wie durch ein Wunder erhaltene Ruine ist das Haus, das man für das der Livia ausgibt; es nimmt sich neben den ungeheuren, benachbarten Palästen ganz klein aus und drei Säle davon mit ihren Wandmalereien, Blumen und Früchten von seltsamer Frische sind noch unversehrt. Was das Haus des Tiberius betrifft, so ist kein Stein davon sichtbar. Seine Ueberreste sind unter dem herrlichen öffentlichen Garten verborgen, der auf der Plattform die alten farnesischen Gärten fortsetzt; und von dem Hause des Caligula, daneben, über dem Forum existiren so wie von dem Hause des Septimius Severus nichts mehr als ungeheure Unterbauten, Strebepfeiler, über einander gehäufte Stockwerke, hohe Arkaden, die den Palast trugen, ungeheure Kellergeschoße, wo die Dienerschaft und die Wachposten wohnten und sich fortwährenden Schmausereien hingaben. Diese ganze, die Stadt beherrschende Höhe bot also nichts als kaum kenntliche Spuren, ausgedehnte, graue und kahle, von der Haue durchfurchte und mit einigen Mauerstücken bestreute Terrains, und es bedurfte der Anstrengung einer Gelehrtenphantasie, um die antike kaiserliche Pracht wieder erstehen zu lassen, die hier geherrscht hatte.
Der Führer setzte nichtsdestoweniger seine Erklärungen mit ruhiger Ueberzeugung fort, indem er ins Leere wies, als ob die Monumente sich noch vor ihm erheben würden.
»Hier sind wir auf dem Palatinplatz. Sie sehen, links ist die Fassade des Palastes des Domitian, rechts die Fassade des Palastes des Caligula. Und wenn Sie sich umdrehen, haben Sie gerade vor sich den Tempel des Jupiter Stator. Die Sacra Via ging bis auf diesen Platz und durch die Porta Mugionis, einem der drei alten Thore des ursprünglichen Rom.«
Er unterbrach sich und deutete mit der Hand auf den nordwestlichen Teil des Berges.
»Sie bemerken, daß die Cäsaren auf dieser Seite nichts gebaut haben. Offenbar mußten sie sehr alte, noch vor der Gründung Roms bestandene und vom Volke verehrte Denkmäler respektiren. Das waren der von Evander und seinen Arkadiern gebaute Siegestempel, das Lupercale, das ich Ihnen zeigte, die bescheidene, aus Rohr und Erde gebildete Hütte des Romulus. All das ist wieder gefunden worden, Herr Abbé, und es ist kein Zweifel daran, mögen die Deutschen sagen, was sie wollen.«
Aber plötzlich
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