Rom: Band 1
unter den Stützmauern verloren, verschwunden ist. Das also war dieser Monte Capitolino, der glorreichste aller sieben Hügel, mit seiner Festung, mit seinem Tempel, dem die Herrschaft der Welt verheißen war, der Sankt Peter des antiken Rom – dieser gegen das Forum zu abgedachte, gegen das Marsfeld spitz aussteigende Berg von schrecklichem Aussehen, dieser Berg, den der Blitz besuchte, den der Asylwald mit seinen heiligen Eichen in der fernsten Zeit mit geheimnisvollen Schauern vor dem grimmigen Unbekannten erfüllte. Später hatte die römische Größe hier ihr Tabularium, ihr Staatsarchiv. Die Triumphatoren stiegen herauf, die Kaiser wurden hier Götter, hier standen ihre Marmorstatuen. Und nun fragte das Auge mit Erstaunen, wie so viel Geschichte, so viel Ruhm auf so wenig Raum Platz finden konnte, auf diesen bergigen, wirren Inselchen kleinlicher Dächer, einem Maulwurfshaufen, der nicht großer, nicht höher war, als ein kleiner, zwischen zwei Thälern gebetteter Marktflecken.
Die nächste Ueberraschung war für Pierre das vom Kapitol ausgehende und am Fuße des Palatin sich hinziehende Forum: ein enger, zwischen den benachbarten Hügeln eingepreßter Platz, ein Untergrund, auf dem das wachsende Rom, da es an Raum fehlte, die Gebäude zum Ersticken anhäufen mußte. Man hat tief graben müssen, um unter den fünfzehn Metern der von den Jahrhunderten herbeigeführten Alluvialschichte den ehrwürdigen Boden der Republik wieder zu finden. Jetzt sieht man nichts mehr als eine lange, weißliche, reinlich gehaltene Grube ohne Dornen oder Epheu, wo gleich Knochenresten Bruchstücke des Pflasters, Säulensockel, Grundmauern sichtbar sind. Die gänzlich wieder hergestellte Basilika Julia sieht einfach wie die Projektion eines architektonischen Planes aus. Auf dieser Seite hat nur der Bogen des Septimius Severus seine ganze Breite bewahrt, während die paar vom Tempel des Vespasian übrig gebliebenen, vereinzelten und durch ein Wunder inmitten der Zusammenbrüche aufrecht stehenden Säulen eine stolze Eleganz, die majestätische Kühnheit des Gleichgewichts angenommen haben und fein und vergoldet in den blauen Himmel ragen. Auch die Phokassäule steht da noch aufrecht und von der Rednerbühne daneben sieht man, was davon mittelst der in der Umgegend entdeckten Stücke wieder hergestellt ward. Aber man muß weiter gehen, als bis zu den drei Säulen des Tempels von Castor und Pollux, weiter als bis zu den Spuren des Hauses der Vestalinnen, weiter als bis zum Tempel der Faustina, in der sich die christliche Kirche S. Lorenzo so breitgemacht hat, weiter als bis zu dem runden Tempel des Romulus, um die außerordentliche Empfindung des Ungeheuerlichen zu fühlen, die die Basilika des Konstantin mit ihren drei gewaltigen, gähnenden Gewölben verursacht. Vom Palatin aus gesehen konnte man sie für Vorhallen für Riesen halten; so dick war das Mauerwerk, daß ein von den Arkaden herabgefallenes Stück wie ein von einem Berge losgelöster Block am Boden liegt. Und hier, in diesem berühmten, so engen und so unbegrenzten Forum hat sich jahrhundertelang die Geschichte des größten aller Völker abgespielt – seit der sabinischen Legende, die die Römer und Sabiner versöhnt, bis zur Verkündigung der Volksrechte, welche die Plebejer langsam von den Patriziern erobert hatten. War es nicht gleichzeitig der Markt, die Börse, das Tribunal, der Saal der politischen Versammlungen, offen, im Freien? Hier hatten die Gracchen die Sache der Armen vertreten, hier schlug Sylla seine Prostkriptionslisten an, hier sprach Cicero und hier ward sein blutendes Haupt aufgehängt. Dann verdunkelten die Kaiser den alten Glanz und die Jahrhunderte begruben die Monumente und Tempel unter ihrem Staube, so daß das Mittelalter keine andere Verwendung dafür hatte, als hier einen Ochsenmarkt einzurichten. Jetzt ist die Ehrfurcht wiedergekehrt; es ist eine grabschänderische Ehrfurcht, ein Neugierde- und Wissenschaftsfieber, das durch Hypothesen gesteigert wird. Es geht auf diesem historischen Boden, wo Generationen über einander liegen, in die Irre und schwankt zwischen den fünfzehn bis zwanzig Rekonstitutionen des Forums, von denen eine so annehmbar ist wie die andere. Für einen einfachen Vorübergehenden, der weder ein Forscher noch ein Gelehrter von Beruf ist, der nicht tags zuvor die römische Geschichte wieder durchgelesen hat, verschwinden die Einzelheiten; er sieht in diesem nach allen Seiten durchgegrabenen Terrain nichts als den Kirchhof
Weitere Kostenlose Bücher