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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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Teilnahme mangelten ihr gänzlich. Sie war in dem Atavismus einer verschieden gearteten Rasse geboren und aufgewachsen, die auch oben im Himmel ihren Thron über der Plebs der Auserkorenen besitzt.
    Noch manchmal kamen sie so des Morgens im Schatten des Lorbeerbaumes neben dem singenden Springbrunnen zusammen; und Pierre, der keine Beschäftigung hatte und Ueberdruß empfand, auf eine Losung zu warten, die sich von Stunde zu Stunde zu verzögern schien, bemühte sich leidenschaftlich, dieses so schöne, in ihrer jungen Liebe strahlende Weib mit seiner befreienden Bruderliebe zu beseelen. Besonders ein Gedanke entstammte ihn fortwährend – der Gedanke, daß er Italien selbst seine Predigten halte, der in ihrer Unwissenheit noch schlummernden Königin der Schönheit, die ihre einstige Größe wieder finden würde, sobald sie mit erweiterter Seele, voll Mitleid für die Dinge und Wesen zum Verständnis der neuen Zeit erwachte. Er las ihr die Briefe des guten Abbé Rose vor und ließ sie das furchtbare Schluchzen hören, das aus den großen Städten aufsteigt. Warum sollte sie, da sie doch so tief zärtliche Augen besaß, da das Glück des Liebens und Geliebtwerdens von ihrem ganzen Wesen ausströmte – warum sollte sie nicht gleich ihm anerkennen, daß das Gesetz der Liebe das einzige Heil der leidenden, durch den Haß in Todesgefahr geratenen Menschheit ist? Sie anerkannte es, sie wollte ihm das Vergnügen machen, an die Demokratie, an die brüderliche Umgestaltung der Gesellschaft zu glauben – aber nur bei anderen Völkern, nicht in Rom. Unwillkürlich mußte sie leise auflachen, sobald er eine Vision heraufbeschwor, wie das, was von Trastevere übrig war, mit dem, was von den alten Fürstenpalästen übrig geblieben, brüderlich mit einander leben würde. Nein, nein, das hatte schon zu lange gedauert; an diesen Dingen durfte man nichts ändern. Mit einem Wort, die Schülerin machte gar keine Fortschritte. In Wirklichkeit berührte sie nur die in diesem Priester so tief brennende Liebesleidenschaft, die er keusch von der Kreatur abgewendet hatte, um sie auf die gesamte Schöpfung zu übertragen. Während dieser wenigen sonnigen Oktobermorgen knüpfte sich zwischen ihnen ein köstliches, anmutiges Band; in der großen Liebe, von der beide verzehrt wurden, liebten sie sich mit wirklicher, mit tiefer und reiner Liebe.
    Eines Tages begann Benedetta, den Ellenbogen auf den Sarkophag gestützt, von Dario zu sprechen, den sie bisher zu erwähnen vermieden hatte. Ach, der Arme, wie bescheiden und reuig benahm er sich nach seinem brutalen Wahnsinnsanfalle! Anfangs war er, um seine Beschämung zu verbergen, auf drei Tage nach Neapel gegangen. Es hieß, daß die Tonietta, das liebenswürdige Mädchen mit den weißen Rosensträußen, die sich toll in ihn verliebt hatte, ihm dorthin nachgeeilt wäre. Seit seiner Rückkehr in den Palast vermied er es, mit seiner Base allein zu sein, und traf nur an den Montagabenden mit ihr zusammen. Dann sah er sie mit unterwürfiger Miene an, und seine Augen flehten um Vergebung. »Gestern bin ich ihm auf der Treppe begegnet,« fuhr sie fort. »Ich habe ihm die Hand gegeben, und da hat er begriffen, daß ich nicht mehr böse bin. Er war sehr glücklich darüber ... Was wollen Sie, Herr Abbé? Man kann nicht lange streng sein. Und außerdem habe ich Angst, ob ihm durch diese Frau nichts Böses geschieht, wenn er, um sich zu betäuben, allzu lustig lebt. Er muß wissen, daß ich ihn immer liebe, daß ich ihn immer erwarte ... O, er gehört mir, mir allein! Er würde sofort auf ewig hier in meinen Armen sein, wenn ich nur ein Wort sprechen dürfte. Aber unsere Angelegenheit steht so schlecht, so schlecht!«
    Sie schwieg; zwei große Thränen waren ihr in die Augen gestiegen. Der Prozeß behufs Annullirung der Ehe schien in der That stille zu stehen, da täglich neue Hindernisse aller Arten entstanden.
    Pierre wurde durch diese Thränen, die bei ihr so selten waren, sehr gerührt. Manchmal gestand sie selbst mit ihrem ruhigen Lächeln, daß sie nicht zu weinen verstehe. Aber ihr Herz wurde weich; einen Augenblick lehnte sie sich wie vernichtet an den bemoosten, vom Wasser halb zerfressenen Sarkophag, während der klare Wasserstrahl mit perlenden Flötentönen aus dem offenen Munde der tragischen Maske niederrieselte. Aber vor dem Priester stieg plötzlich der Gedanke an den Tod auf, als er sie, die Junge, Schönheitstrahlende, am Rande dieses marmornen Sarkophages zusammensinken sah, auf dem die

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