Rom - Band II
Papsttums war daher mit dem Roms derart verknüpft, daß ein Papst außerhalb Roms kein katholischer Papst mehr sein würde. Und mit einemmale fühlte Pierre, während er an dem dünnen, eisernen Geländer lehnte und erschreckt von so hoch oben in den Abgrund hinabschaute, wo die düstere, harte Stadt sich vollends unter der brennenden Sonne zerstreute, wie der tiefe Schauer der Wesen und der Dinge durch seine Knochen rieselte.
Eines stand nun ganz fest. Wenn Plus IX., wenn Leo XIII. beschlossen hatten, sich im Vatikan einzukerkern, so geschah dies nur, weil die Notwendigkeit sie an Rom fesselte. Es steht einem Papste nicht frei, es zu verlassen und anderswo das Haupt der Kirche zu sein. Ebenso würde ein Papst, wie groß auch sein Verständnis für die moderne Welt sein mochte, nicht das Recht haben, auf die weltliche Macht zu verzichten. Es ist eine unveräußerliche Erbschaft, deren Verteidigung ihm obliegt; außerdem ist es eine Lebensfrage, über die es keine Erörterung gibt. Daher hat Leo XIII. auch den Titel eines Herrn des weltlichen Gebietes der Kirche beibehalten, um so mehr, da er als Kardinal gleichwie alle anderen Mitglieder des heiligen Kollegiums bei der Wahl in seinem Eide geschworen hatte, diese Herrschaft unversehrt zu erhalten. Mochte Italien noch ein Jahrhundert lang die Stadt Rom behalten; ein Jahrhundert lang wird ein Papst auf den andern folgen und nicht aufhören, stürmisch Verwahrung zu erheben und sein Recht zurückzufordern. Selbst wenn eines Tages wahrend dieser Periode ein Einverständnis dazwischen kommen sollte, würde es sich sicherlich auf die Ueberlassung eines Stückes Landes gründen. Hieß es nicht zur Zeit, da Gerüchte von einer Versöhnung im Schwange waren, daß der regierende Papst wenigstens den Besitz der Leostadt mit der Neutralitätserklärung einer bis zum Meere gehenden Straße als förmliche Bedingung aufgestellt hatte? Gar nichts ist nicht genug; man kann nicht von Nichts ausgehen, um zuletzt alles zu haben. Aber die Leostadt, dieser schmale Winkel ist schon ein Stückchen königlicher Erde; man braucht dann nur das übrige wieder erobern – Rom, dann Italien, hierauf die benachbarten Nationen, zuletzt die Welt. Die Kirche ist noch nie verzweifelt, selbst nicht in den Tagen, da sie geschlagen, geplündert, im Sterben zu liegen schien. Nie wird sie abdanken; nie wird sie auf die Verheißungen Christi verzichten; denn sie glaubt an ihre unbegrenzte Zukunft, sie gibt sich für unzerstörbar und ewig aus. Man gebe ihr nur einen Kiesel, auf dem sie ihr Haupt ausruhen kann – und sie hofft schon, bald das Feld zurückzuerhalten, auf dem sich dieser Kiesel befindet, das Reich, in dem sich dieses Feld befindet. Wenn ein Papst die Wiedererlangung der Erbschaft nicht durchsetzen kann, so wird ein anderer Papst, so werden zehn, zwanzig andere Päpste sich damit beschäftigen. Jahrhunderte zählen nichts mehr. Dieser Gedanke war es, der einen vierundachtzigjährigen Greis bewog, gewaltige Arbeiten zu unternehmen, für die mehrere Menschenleben erforderlich waren; er hatte die Gewißheit, daß Nachfolger kommen, und daß die Arbeiten trotz allem fortgesetzt und beendet werden würden.
Und Pierre kam sich angesichts dieser alten, auf ihrem Purpur beharrenden Stadt des Ruhmes und der Herrschaft mit seinem Traum von einem rein geistigen Papst albern vor. Er schien ihm so übel angebracht, daß er eine Art beschämter Verzweiflung darüber empfand. Ein römischer Prälat konnte für den neuen evangelischen Papst, der ein rein geistiger, nur über die Seelen herrschender Papst sein würde, gewiß kein Verständnis haben. Das Grauen, der sozusagen körperliche Widerwille davor, ward ihm plötzlich bei der Erinnerung an diesen im Ritus, in Stolz und Autorität erstarrten päpstlichen Hof klar. Ach, wie erstaunt und verächtlich mußten sie auf diese seltsame Vorstellung des Nordens herabsehen – auf die Vorstellung von einem Papst ohne Länder und Unterthanen, ohne militärischen Hofstaat und königliche Ehren, einem reinen Geist, einer rein moralischen Autorität, eingeschlossen im Hintergrunde des Tempels, die Welt nur durch segnende Geberden, durch Güte und Liebe regierend! Nein, für diesen lateinischen Klerus, für diese Priester des Lichtes und der Pracht war das nur ein altfränkisches, von Nebeln umhülltes Phantasiegebilde. Gewiß, sie waren fromm, sogar abergläubisch, aber sie ließen Gott wohlbehütet im Tabernakel, um in seinem Namen, im möglichsten Interesse des
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