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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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Hat es großen Einfluß auf Sie gemacht, hat es Sie erbaut?«
    Mit seinen forschenden Augen spähte er ihm bis in die Seele und stellte fest, wie es mit ihm stand. Dann begann er befriedigt leise zu lachen.
    »Ja, ja, ich sehe. Nun, Sie sind doch ein vernünftiger Mensch. Ich fange an zu glauben, daß Ihre unglückselige Geschichte hier ein sehr gutes Ende nehmen wird.«

VIII.
    Pierre hatte die Gewohnheit angenommen, vormittags, wenn er nicht ausging, stundenlang in dem engen, verlassenen Garten des Palazzo Boccanero zu verweilen. Einst endete dieser Garten in einer Art Loggia mit einem Portikus, von wo eine doppelte Treppe zum Tiber hinabführte. Heute befand sich dort ein köstlicher, einsamer Winkel, durchduftet von den reifen Früchten hundertjähriger Orangenbäume, deren symmetrische Reihen die ursprüngliche, nun unter Unkraut verschwundene Zeichnung der Alleen noch andeutete. Hier fand er auch den Duft der Tobira, der üppigen Tobira wieder, die in dem alten, von Erdschutt ausgefüllten Mittelbecken aufgeschossen war.
    An diesem leuchtenden Oktobermorgen voll lieblichen und durchdringenden Reizes konnte man sich hier dem Genuß unendlicher Lebensfreude hingeben. Aber der Priester brachte seine nordischen Träumereien mit, den Kummer über das Leiden, seine fortwährend von mitleidiger Bruderliebe gequälte Seele, die ihm die Liebkosung des hellen Sonnenlichtes in dieser wollüstigen Luft noch süßer erscheinen ließ. Er ließ sich neben der rechten Mauer auf dem Bruchstück einer umgestürzten Säule unter einem ungeheuren Lorbeerbaum nieder, der einen tiefdunklen Schatten voll balsamischer Frische verbreitete. Neben ihm in dem antiken, grün überzogenen Sarkophage ließ der dünne Wasserstrahl, der aus der an die Mauer gekitteten tragischen Maske floß, fortwährend seine kristallhelle Musik ertönen. Er las hier seine Zeitungen, seine Briefe, besonders die zahlreichen Briefe des guten Abbé Rose, die ihn über sein Werk, über die Unglücklichen in dem düstern, bereits von Nebeln umhüllten und vom Kot überfluteten Paris auf dem Laufenden erhielten. Ach, wie seltsam klang die Kunde von diesem Elend des kalten Landes, von dem Elend der Mütter und der Kleinen, die bald in den schlecht schließenden Dachstuben vor Kälte beben, von den Männern, die die großen Fröste zur Arbeitseinstellung zwingen würden, von diesem ganzen Todeskampf unter dem Schnee der armen Welt in dieser warmen, von einem Fruchtgeschmack durchdufteten Luft, in diesem Lande des blauen Himmels und der glücklichen Trägheit, wo es sich sogar im Winter an einer windgeschützten Stelle so gut im Freien auf dem warmen Pflaster schlafen ließ!
    Eines Morgens sah Pierre Benedetta auf dem als Bank dienenden Säulenfragment sitzen. Sie stieß einen leichten Schrei der Ueberraschung aus und war einen Augenblick befangen, denn sie hielt gerade das Buch des Priesters, »Das neue Rom«, in der Hand. Sie hatte es bereits einmal gelesen, ohne es zu verstehen. Dann aber hielt sie ihn zurück, bestand darauf, daß er neben ihr Platz nehme, und gestand ihm mit ihrer schonen Freimütigkeit, ihrer ruhigen, vernünftigen Miene, daß sie in den Garten gegangen sei, um allein zu sein und sich wie eine unwissende Schülerin fleißig mit ihrem Buche zu beschäftigen. Sie plauderten freundschaftlich; es war für Pierre eine herrliche Stunde. Wenn sie es auch vermied, von sich selbst zu sprechen, so fühlte er doch, daß nur ihr Kummer sie ihm näher brachte; es war, als hätte das Leiden ihr Herz erweitert, so daß sie sich nun mit allen beschäftigte, die in dieser Welt litten. In ihrem Patrizierstolz, der die Hierarchie für ein göttliches Gesetz hielt, hatte sie nie an diese Dinge gedacht. Die Glücklichen waren oben, die Unglücklichen unten, ohne daß eine Aenderung möglich war. Und welch ein Erstaunen hatte sie bei gewissen Stellen seines Buches empfunden, welch einen Schmerz bereitete ihr sein Inhalt! Wie, man soll sich für das gemeine Volk interessiren, man soll glauben, daß es dieselbe Seele, dieselben Leiden besitzt, man soll an seinem Glück arbeiten wie an dem eines Bruders? Trotzdem zwang sie sich dazu, freilich ohne besondern Erfolg; heimlich verzehrte sie die Angst, ob sie nicht eine Sünde begehe, denn das beste ist, nichts an der von Gott eingesetzten, von der Kirche geheiligten sozialen Ordnung zu ändern. Gewiß, sie war wohlthätig, gab die gewohnten, kleinen Almosen, aber sie gab nicht ihr Herz; der Altruismus, die wirkliche

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