Rom - Band II
Abbé muß ja genug Bettler in unseren Straßen getroffen haben. Er kann alles sehen. Uebrigens wird er, nach seinem Buche zu schließen, in Rom nicht mehr sehen, als er bereits in Paris gesehen hat. Ueberall, wie es darin irgendwo heißt, ist der Hunger derselbe.«
Dann griff sie Dario sanft, mit sehr vernünftiger Miene an.
»Mein Dario, Du weißt, daß Du mir ein großes Vergnügen machen würdest, indem Du mich dahin führtest. Ohne Dich würden wir gar zu auffällig hineinschneien. Wir werden hinausfahren und dort mit den Herren zusammentreffen. Es wird eine sehr hübsche Spazierfahrt sein ... Wir sind ja schon so lange nicht mit einander ausgefahren!«
Gewiß, das war es, was sie so entzückte: sie hatte nun einen Vorwand, um mit ihm beisammen zu sein, um sich gänzlich mit ihm zu versöhnen. Er fühlte das und konnte sich diesem Wunsche nicht entziehen.
»Ach, Cousine,« sagte er, indem er einen scherzhaften Ton erkünstelte, »Du wirst schuld sein, wenn ich dann die ganze übrige Woche Alpdrücken habe. Ein solcher Ausflug kann einem eine Woche lang die Freude am Leben verleiden.«
Er schauderte im voraus aus Widerwillen. Die anderen begannen wieder zu lachen, und trotz der stummen Mißbilligung Donna Serafinas wurde die Zusammenkunft endgiltig für den nächsten Tag um zehn Uhr bestimmt. Celia bedauerte beim Weggehen lebhaft, nicht mithalten zu können; aber diese weiße, geschlossene Lilienknospe interessirte sich nur für die Pierina.
»Sieh Dir diese Schönheit gut an, Liebste,« flüsterte sie der Freundin im Vorzimmer ins Ohr. »Du mußt mir sagen, ob sie so schon ist, gar so schon, viel schöner als alle anderen.«
Als Pierre um nächsten Morgen mit Narcisse um neun Uhr auf den Prati del Castello zusammentraf, bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß dieser wieder in seine schmachtende Kunstschwärmerei zurückgefallen war. Anfangs war gar keine Rede mehr von den neuen Vierteln oder von der schrecklichen finanziellen Katastrophe, die sie hervorgerufen haben. Der junge Mann erzählte, daß er mit der Sonne aufgestanden sei, um eine Stunde vor der heiligen Therese Berninis zuzubringen. Wenn er sie acht Tage lang nicht gesehen hatte, so thue ihm das Herz weh, behauptete er; er leide wie beim Entbehren einer teuren Geliebten. Er habe auch eigene Stunden, in denen er sie verschieden liebe – von wegen der Beleuchtung: am Morgen, in dem Lichte der Dämmerung, die sie ganz weiß umkleide, liebe er sie mit dem ganzen mystischen Feuer seiner Seele; am Nachmittag, wenn die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne auf sie fielen, deren Flammen sie zu durchleuchten schienen, liebe er sie mit der brennenden Leidenschaft des Märtyrers.
»Ach, lieber Freund,« sagte er mit seiner müden Miene, während seine Augen ganz die Farbe der Malve annahmen, »ach, lieber Freund, Sie können sich nicht vorstellen, was für ein erregendes, köstliches Erwachen das heute morgen war ... Eine unwissende, reine Jungfrau öffnet schmachtend die Augen, noch ohnmächtig, zerbrochen vor Wollust, da Jesus sie besessen ... Ach, sterben könnte man dabei!«
Nach ein paar Schritten beruhigte er sich und fuhr in dem bestimmten Ton eines praktischen, lebenserfahrenen Mannes fort:
»Hören Sie, wir werden jetzt ganz sachte nach den Prati del Castello gehen, deren Gebäude Sie da unten, gegenüber, bemerken. Während des Gehens werde ich Ihnen erzählen, was ich weiß. O, es ist eine ganz außerordentliche Geschichte, einer jener Wahnsinnsanfälle der Spekulation, die schön sind wie das ungeheuerliche, schöne Werk irgend eines verrückten Genies ... Ich habe es von meinen Verwandten gehört, die hier gespielt haben und meiner Treu beträchtliche Summen gewannen.«
Nun erzählte er Pierre die seltsame Geschichte mit der Klarheit und Genauigkeit eines Finanzmannes, indem er die technischen Ausdrücke mit vollkommener Sicherheit anwendete. Nach der Eroberung Roms, als ganz Italien vor Begeisterung verrückt wurde, weil es nun endlich die so lange ersehnte Hauptstadt, die antike, glorreiche, die ewige Stadt, der das Reich der Welt verheißen war, besaß, da fand ein ganz gerechtfertigter Ausbruch der Freude und der Hoffnung statt. Das junge, erst seit gestern geborene Volk wollte nun seine Macht beweisen. Man mußte von Rom Besitz ergreifen, es zu einer modernen, eines großen Königreichs würdigen Hauptstadt machen; vor allem mußte man es gesund machen, von dem Schmutze reinigen, der es entehrte. Man kann sich nicht mehr
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