Rom - Band II
Grün und Blau. Wie aber das Dunkel ihn ergriff, so erschien er undurchsichtig, rotfarben, so alt, so dick, so schwer, daß die gegenüberliegenden Häuser sich nicht einmal mehr in ihm spiegelten. Und was für eine trostlose, was für eine öde Verlassenheit, welcher Strom der Stille und der Einsamkeit! Wenn er auch nach den Winterregen seine drohende Flut noch wütend dahinwälzte, so schlief er doch während der langen Monate, da der Himmel klar war, ein und durchzog Rom klanglos, mit dumpfem Fließen, als wäre er über alles unnütze Geräusch eines Besseren belehrt worden. Man konnte hier den ganzen Tag lang stehen, ohne eine Barke, ein Segel vorüberziehen zu sehen, das ihn belebt hätte. Die wenigen Schiffe, die zwei oder drei kleinen Dampfer, die vom Litorale kamen, die Tartanen, die Wein aus Sizilien brachten, hielten alle am Fuße des Aventins an. Darüber hinaus gab es nichts mehr als Wüste, als totes Gewässer, in das da und dort ein unbeweglicher Fischer seine Angel hinabhängen ließ. Pierre sah ein wenig nach rechts, am Fuße des alten Ufers, nie etwas anderes als eine Art antike, bedeckte Pinasse, eine halb verfaulte Arche Noah; sie war vielleicht ein Bootswaschplatz, aber er bemerkte dort nie eine lebende Seele. Außerdem befand sich auf einer Kotzunge eine gestrandete Schaluppe mit aufgeplatzter Flanke, ein klägliches Symbol, daß alle Schiffahrt hier unmöglich und aufgegeben worden war. Ach, diese Stromrinne, sie war ebenso tot wie die berühmten Ruinen, deren Staub sie seit so vielen Jahrhunderten gebadet hatte! Nun war sie es müde. Und was beschwor sie heraus! Jahrhunderte der Geschichte, so viele Dinge, so viele Menschen, die die gelben Wasser widergespiegelt hatten – deren Ermüdung und Ekel sie angezogen hatten, bis sie in ihrer Sehnsucht nach dem Nichts so schwer, so stumpf, so einsam geworden waren!
Hier war es, wo Pierre eines Morgens Pierina erkannte, als sie hinter einer der Holzbaracken stand, die zum Aufbewahren der Werkzeuge gedient hatten. Sie streckte den Hals aus und betrachtete starr, vielleicht schon stundenlang, das an der Ecke des Gäßchens und des Quais liegende Fenster des Zimmers Darios. Zweifellos von dem strengen Empfange Viktorinens erschreckt, war sie nicht wieder im Palaste erschienen, um sich zu erkundigen; aber nachdem sie von irgend einem Bedienten erfahren hatte, wo sich das Fenster befand, kam sie hierher und brachte die Tage hier zu, indem sie unermüdlich auf eine Erscheinung, ein Lebens- und Rettungszeichen wartete. Die bloße Hoffnung darauf ließ ihr Herz klopfen. Der Priester näherte sich ihr; es rührte ihn unendlich, daß sie in ihrer königlichen Schönheit sich so demütig, so zitternd vor Anbetung derart versteckte. Statt sie zu schelten, sie wegzujagen, wie sein Auftrag lautete, sprach er sehr sanft und sehr heiter mit ihr, erwähnte die Ihren, als sei nichts geschehen, und richtete es so ein, daß er den Namen des Fürsten aussprach, um ihr zu verstehen zu geben, daß er noch vor vierzehn Tagen wieder auf den Füßen sein werde. Anfangs war sie zusammengefahren und stand scheu, mißtrauisch, fluchtbereit da. Dann, als sie verstanden hatte, schossen ihr die Thränen in die Augen, und trotzdem lachend, glückselig, warf sie ihm eine Kußhand zu, rief: » Grazie, grazie ! Danke, danke!« und lief davon, was sie laufen konnte. Er sah sie nie wieder.
Und an einem Morgen war es auch, als Pierre, da er sich nach S. Brigitta auf der Piazza Farnese begab, um seine Messe zu lesen, zu seiner Ueberraschung Benedetta so frühzeitig aus dieser Kirche herauskommen sah. Sie trug ein ganz kleines Fläschchen Oel in der Hand. Uebrigens war sie gar nicht verlegen, sondern erklärte ihm, daß sie sich alle zwei oder drei Tage von dem Kirchendiener einige Tropfen von dem Oel hole, das die ewige Lampe vor einer antiken, hölzernen Muttergottesstatue speiste, zu der sie unbedingtes Vertrauen hatte. Sie gestand sogar, daß sie nur zu dieser Vertrauen habe; denn sie hätte nie etwas erreicht, wenn sie sich an andere, obwohl sehr berühmte Madonnen aus Marmor und sogar Silber gewendet hätte. In ihrem Herzen brannte daher auch für dieses heilige Bildnis, das ihr nichts verweigerte, eine innige Andacht – in Wirklichkeit ihre ganze Andacht. Sie bestätigte auch sehr einfach, wie etwas Natürliches, außer Frage Stehendes, daß diese wenigen Tropfen Oel, mit denen sie abends und morgens die Wunde Darios einrieb, eine so rasche, ganz und gar wunderbare Heilung
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