Rom - Band II
flossen langsam Tage voll großer Ruhe dahin; für Pierre entwickelte sich ein neues Leben. In den ersten Tagen verließ er nicht einmal den alten, schlummernden Palast; er las, schrieb und hatte keine andere Zerstreuung, als daß er jeden Nachmittag bis zur Dämmerung in dem Zimmer Darios saß, wo er sicher war, auch Benedetta zu treffen. Nach einem achtundvierzigstündigen heftigen Fieber hatte die Heilung ihren gewohnten Gang genommen; alles ging aufs beste, die Geschichte von der verrenkten Schulter wurde von aller Welt geglaubt, so daß der Kardinal es bei der streng sparsamen Donna Serafina durchsetzte, daß eine zweite Laterne auf dem Treppenabsatz angezündet ward, damit sich ein solcher Unfall nicht mehr erneue. In diesem wieder entstandenen einförmigen Frieden gab es nur noch eine letzte Erschütterung, besser gesagt, es drohte eine Aufregung, in die Pierre eines Abends, als er etwas länger bei dem Genesenden verweilte, hineingezogen ward.
Benedetta hatte sich auf einige Minuten entfernt; da beugte sich Viktorine, die eine Bouillon heraufgebracht hatte, beim Zurücknehmen der Tasse herab, um ganz leise zu dem Fürsten zu sagen:
»Gnädiger Herr, ein junges Mädchen, Sie wissen, die Pierina, kommt alle Tage weinend her, um sich nach Ihnen zu erkundigen ... Ich kann sie nicht fortschicken, sie streicht ums Haus herum; da setze ich Sie lieber davon in Kenntnis.«
Pierre hatte wider Willen zugehört, und eine plötzliche Gewißheit stieg in ihm auf; mit einemmale begriff er alles. Dario, der ihn anblickte, sah wohl, was er dachte, und sagte daher, ohne Viktorinen zu antworten:
»Ja, Abbé, es war dieses Vieh von Tito ... Ich bitte Sie, ist das nicht dumm?«
Aber obwohl er sich verwahrte, nichts gethan zu haben, damit der Bruder ihn warnen brauchte, seiner Schwester nicht nahe zu kommen, so lächelte er doch verlegen und war sehr ärgerlich, sogar ein wenig beschämt über eine solche Geschichte. Er war sichtlich erleichtert, als der Priester ihm versprach, mit dem jungen Mädchen zu sprechen, falls es wieder käme, und ihm zu verstehen zu geben, daß es zu Hause bleiben müsse.
»Ein albernes, zu albernes Abenteuer,« wiederholte der Fürst, indem er, wie um sich selbst zu verhöhnen, seinen Zorn übertrieb. »Es ist wirklich wie aus einem andern Jahrhundert.«
Er verstummte plötzlich. Benedetta kehrte zurück. Sie setzte sich wieder neben ihrem lieben Patienten nieder, und die süße Krankenwacht in dem alten, schlummernden Zimmer, in dem alten, toten Palast, in dem kein Hauch sich regte, nahm ihren Fortgang.
Als Pierre wieder ausging, wagte er sich anfangs, um einen Augenblick Luft zu schöpfen, nur in das Viertel. Diese Via Giulia interessirte ihn; er wußte von ihrer einstigen Pracht zur Zeit Julius' II., der sie gerade legte und mit prächtigen Palästen einzufassen gedachte. Während des Karnevals hatten hier Wettrennen stattgefunden. Sie begannen, ob zu Fuß oder zu Pferd, beim Palast Farnese und reichten bis zum Petersplatz. Er hatte eben auch gelesen, daß der Gesandte des Königs von Frankreich, d'Estrée Marquis de Couré, der den Palazzo Saccheti bewohnte, dort 1630 mit großer Pracht die Geburt des Dauphins feierte; er veranstaltete drei große Rennen von der Sixtusbrücke bis S. Giovanni de Fiorentini, wobei ein außerordentlicher Luxus entfaltet, die Straßen mit Blumen bestreut und alle Fenster mit den kostbarsten Behängen geschmückt wurden. Am zweiten Abende wurde auf dem Tiber ein Feuerwerk abgebrannt, das Argonautenschiff darstellend, das Jason zur Eroberung des goldenen Vlieses führte. Ein andermal lief aus dem farnesischen Springbrunnen, dem Mascherone, Wein. Wie ferne waren diese Zeiten, und wie hatten sie sich verändert! Wie einsam und still zog sich heutigen Tags die Straße in der traurigen Größe ihrer Verlassenheit, breit und gerade, sonnenbeschienen oder tief dunkel mitten durch das verlassene Viertel hin! Von neun Uhr ab strich die helle Sonne durch sie hin und ließ das kleine Pflaster des flachen, trottoirlosen Fahrweges ganz weiß erscheinen, während zu den beiden, abwechselnd von hellem Licht in schwarzen Schatten übergehenden Seiten die alten Paläste, die schweren, alten Häuser, die antiken, mit Schilden und Nägeln bespickten Thüren, die mit ungeheuren Eisenstangen vergitterten Fenster, ganze Stockwerke mit geschlossenen Schalterläden schlummerten. Sie waren gleichsam vernagelt, um das Tageslicht nicht mehr einzulassen. Wenn eine Thür offen stand, so
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