Rom - Band II
bemerkte man tiefe Wölbungen, feuchte und kalte, mit dunkelgrünen Flecken bedeckte innere Höfe, die gleich wie in Klöstern von Portiken umgeben waren. In den Dependancen, in den niedrigen Gebäuden, die sich zuletzt besonders auf der Seite der zum Tiber hinab gehenden Gäßchen gebildet hatten, waren kleine, stille Industrien entstanden – ein Bäcker, ein Schneider, ein Buchbinder, unbedeutende Kramladen, Obstkeller mit vier Tomaten und vier Salatköpfen auf dem Brette, Weinhandlungen, die Gewächse von Frascati und Genzano aussteckten, wo aber die Trinkenden gestorben zu sein schienen. Gegen die Mitte der Straße zu befand sich das jetzige Gefängnis mit seiner abscheulichen, gelben Mauer; es war nicht dazu angethan, sie zu erheitern. Ein ganzer Schwarm von Telegraphendrähten durchzog diesen langen, grabesähnlichen Korridor mit den seltenen Passanten, wo der Staub der Vergangenheit zerfiel, von einem Ende zum andern – von den Arkaden des farnesischen Palastes bis zu dem fernen Ausblick über den Fluß, über die Bäume des Heiligengeisthospitales. Aber vor allem des Abends, wenn die Nacht hereingebrochen war, wurde Pierre von der Oede, von einer Art heiligen Grauens gepackt, die die Straße dann annahm. Keine Menschenseele, vollständige Vernichtung, kein Licht in den Fenstern, nichts als die doppelte Reihe von Gashähnen, die, weit aus einander stehend, Nachtlichtern glichen, und verriegelte, verrammelte Thüren, aus denen kein Geräusch, kein Hauch hervordrang! Nur da und dort eine erleuchtete Weinhandlung, matte Scheiben, hinter denen in dumpfer Unbeweglichkeit eine Lampe brannte, kein Stimmengeräusch, kein Lachen! Und keine lebendige Seele zu sehen als die zwei Gefängnisschildwachen, die eine vor dem Thor, die andere an der Ecke des rechten Gäßchens, beide steif und starr in der toten Straße stehend!
Uebrigens fesselte ihn das ganze Viertel, dieses einstige vornehme Viertel, das, nun in Vergessenheit geraten, von dem modernen Leben so entfernt war und fortan nur noch einen Dumpfgeruch, den faden, heimlichen Kirchengeruch aushauchte. Auf der Seite von S. Giovanni de Fiorentini, an der Stelle, wo der neue Corso Viktor Emanuel alles eingerissen hat, bestand ein heftiger Gegensatz zwischen den hohen fünfstöckigen, gemeißelten, glänzenden, kaum vollendeten Häusern und den geschwärzten, eingesunkenen und armseligen Gebäuden der Nachbargäßchen. Am Abend funkelten elektrische Kugeln in blendender Weiße, gegen die die Gashähne in der Via Giulia nur noch wie rauchende Lämpchen aussehen. Es waren alte, berühmte Straßen: die Via dei Banchi Vecchi, die Via del Pellegrino, die Via di Monserrato, hierauf endlose Querstraßen, die sie durchschnitten, die sie verbanden, die alle dem Tiber zugingen und so eng waren, daß die Wagen schwer durch konnten. Und eine jede hatte ihre Kirche; es war eine Menge fast gleicher, reich geschmückter, reich vergoldeter und gemalter Kirchen, die nur zur Zeit des Gottesdienstes offen und dann voll Sonnenlicht und Weihrauch waren. In der Via Giulia befand sich außer S. Giovanni de Fiorentini, außer S. Biagio della Pagnotta, außer S. Eligio degli Orefici rückwärts hinter dem Palast Farnese die Totenkirche [Fußnote: S. Maria delle Morte.] in die er gern eintrat, um von dem unbewohnten Rom, von den Büßermönchen zu träumen, die den Dienst in dieser Kirche versahen und deren Aufgabe darin bestand, die ihnen signalisirten verlassenen Leichname in der Campagna zu sammeln.
Eines Abends wohnte er dort der Seelenmesse für zwei unbekannte, seit vierzehn Tagen unbegrabene Leichen bei, die man auf einem Felde rechts von der Via Appia entdeckt hatte.
Aber der Lieblingsspaziergang Pierres wurde bald der neue Tiberquai vor der andern Fassade des Palazzo Boccanera. Er brauchte nur durch das Vicolo, das enge Gäßchen zu gehen und gelangte an einen einsamen Ort, wo alles ihn mit unendlichen Gedanken erfüllte. Der Quai war nicht vollendet, die Arbeiten schienen sogar vollständig aufgelassen worden zu sein; es war ein ungeheurer, mit Schutt und Bausteinen angefüllter Zimmerplatz, der von halb zerbrochenen Palissaden und Werkzeugschuppen mit zusammenbrechenden Dächern durchschnitten ward. Das Flußbett war unaufhörlich höher geworden, während fortwährende Ausgrabungen den Boden der Stadt zu beiden Seiten gesenkt hatten. Um sie daher vor Ueberschwemmungen zu schützen, hatte man eben das Wasser in diese gigantischen Festungsmauern gesperrt. Man hatte zu diesem Behufe
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