Rom - Band III
die Flut des zeitlichen Erbarmens für Dinge und Wesen Herz und Geist zu erweitern. Jetzt hätte ihn das ein wenig zum Lächeln gebracht, wenn er nicht von Thränen überflossen wäre. Wie reizend war sie gewesen, während sie sich bemühte, ihn zufriedenzustellen, trotzdem unbesiegliche Hindernisse, Rasse, Erziehung, Umgebung sie abhielten, ihm zu folgen! Sie war eine fügsame Schülerin, aber wirklichen Fortschrittes nicht fähig. Dennoch schien sie sich ihm eines Tages zu nähern, als ob das Leid ihr Herz allem Erbarmen geöffnet hätte. Dann kam die Illusion des Glückes hinzu und sie hatte das Elend der anderen nicht mehr begriffen, war in der Selbstsucht ihrer eigenen Hoffnung und Freude aufgegangen. Großer Gott, kam es daher, daß dieses zum Verschwinden verurteilte Geschlecht so enden mußte? Es war manchmal noch so schön, so anbetungswürdig, aber so verschlossen gegen die Liebe zu den anderen, gegen das Gesetz der Nächstenliebe und Gerechtigkeit, das durch Regelung der Arbeit fortan allein die Welt retten konnte.
Dann regte sich in Pierre noch eine andere Verzweiflung, die ihn stammeln machte und keine ausdrücklichen Gebete finden ließ. Der Gewaltstreich war ihm eingefallen, der die beiden Kinder durch eine vernichtende Wiedervergeltung der Natur hinweggerafft hatte. Welch ein Hohn! Sie hatte der Jungfrau versprochen, nur dem erwählten Gatten das Geschenk ihrer Jungfräulichkeit zu bieten, sie hatte ihr ganzes Leben lang unter diesem Schwur wie unter einem Büßerhemde geblutet, um sich zuletzt im Tode, rasend vor Reue, brennend vor Verlangen, ganz hinzugeben, dem Geliebten in die Arme zu werfen! Und sie hatte sich mit der Raserei eines letzten Protestes hingegeben – die brutale Thatsache der drohenden Trennung, die sie auf die Täuschung aufmerksam machte und zu dem Instinkt der allgemeinen Liebe zurückführte, genügte. Das war wieder eine Niederlage der Kirche, das war wieder der große Pan, der Säer der Keime, der die Paare mit seiner stetig befruchtenden Geberde vereinigt. Wenn auch die Kirche zur Zeit der Renaissance unter dem Ansturm der aus dem alten römischen Boden ausgegrabenen Venusse und Herkulesse nicht zusammengebrochen war, so setzte sich der Streit doch ebenso grimmig fort und zu jeder Stunde drohten die neuen, von Saft überströmenden, nach Leben hungernden Völker, im Kampfe gegen eine Religion, die nur ein Gelüst nach dem Tode war, das alte katholische Gebäude niederzureißen, dessen Mauern schon von allen Seiten zusammenbrachen.
Und in diesem Augenblick hatte Pierre das Gefühl, daß der Tod dieser anbetungswürdigen Benedetta das höchste Unglück für ihn war. Er sah sie immerzu an und Thränen brannten in seinen Augen. Sie vernichtete sein Traumbild vollends. So wie am Abend zuvor, im Vatikan, vor dem Papst fühlte er seine letzte Hoffnung, die so ersehnte Auferstehung des alten Rom zu einem Rom voll Jugend und Wohlfahrt zusammenstürzen. Diesmal war es wahrlich zu Ende: Rom, das katholische, das fürstliche Rom war tot. Wie eine Marmorstatue lag es auf diesem Totenbette. Es hatte nicht zu den Geringen, den Leidenden dieser Welt, dringen können, und war nun in dem ohnmächtigen Aufschrei seiner selbstsüchtigen Leidenschaft verschieden, als es zu spät zum Lieben und Zeugen war. Nie mehr würde es Kinder gebären; das alte römische Haus war fortan leer, unfruchtbar und ein Erwachen nicht mehr möglich. Pierre, dessen Seele die teure Tote verwitwet, in Trauer um einen so großen Traum zurückgelassen hatte, empfand, als er sie so unbeweglich und eisig daliegen sah, einen solchen Schmerz, daß er sich schwach werden fühlte. Trübte das fahle, von den gelben Flecken der zwei Kerzen gestirnte Tageslicht sein Auge? Betäubte ihn der in der Todesluft noch trägere Rosenduft wie ein Rausch? Brauste das dumpfe, stetige Gemurmel des hinter ihm seine Messe beendenden amtirenden Priesters in seinem Schädel und hinderte ihn, seine Gebete wiederzufinden? Er fürchtete quer über die Stufe zu fallen, richtete sich mühsam auf und trat beiseite.
Dann, als er sich in eine Fensternische flüchtete, um sich zu erholen, traf er dort zu seinem Erstaunen Victorine, die auf einem halb versteckten Bänkchen saß. Donna Serafina hatte es ihr befohlen; sie wachte aus diesem Winkel über ihre zwei teuren Kinder, wie sie sie nannte, und ließ die Eintretenden und Fortgehenden nicht aus den Augen. Als sie sah, wie bleich und einer Ohnmacht nahe der junge Priester war, ließ sie ihn sofort
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