Rom - Band III
sich niedersetzen.
»Ach,« sagte er sehr leise, nachdem er tief aufgeatmet hatte, »mögen sie wenigstens die Freude haben, anderswo zusammen zu leben, in einer andern Welt zu einem neuen Leben zu erwachen!«
Sie zuckte leicht die Achseln und antwortete ebenfalls mit sehr leiser Stimme:
»O, Herr Abbé, erwachen! Wozu denn? Hören Sie mal, wenn man tot ist, da ist es noch am besten, man bleibt tot und schläft. Die armen Kinder haben auf Erden Kummer genug gehabt; man darf ihnen nicht wünschen, daß es anderswo noch einmal anfängt.«
Dieses so naive und tiefe Wort der ungebildeten Ungläubigen jagte Pierre einen Schauer durch die Knochen. Und ihm, ihm hatten manchmal nachts, bei dem plötzlichen Gedanken an das Nichts vor Angst die Zähne geklappert! Sie kam ihm heldenhaft vor, weil sie nicht von Gedanken an Ewigkeit und Unendlichkeit beunruhigt ward. Ach, wenn alle Welt die ruhige Irreligiosität, die so weise, so heitere Sorglosigkeit des ungläubigen, gemeinen französischen Volkes besäße – was für eine plötzliche Ruhe, was für ein glückliches Leben würde unter den Menschen herrschen!
Und da sie fühlte, wie er erzitterte, setzte sie hinzu:
»Was soll denn noch nach dem Tode sein? Man hat sich den Schlaf wohl verdient; das ist noch das wünschenswerteste und tröstlichste. Wenn Gott die Guten belohnen und die Bösen bestrafen müßte, hätte er wirklich viel zu thun. Ist ein solches Gericht auch nur möglich? Ist denn nicht das Gute und das Böse in einem jeden so vermischt, daß es das beste wäre, alle Welt freizusprechen?«
»Aber diese beiden da, die so liebenswert, so geliebt waren, haben nicht gelebt,« murmelte er. »Warum sich nicht die Freude machen, zu glauben, daß sie anderswo belohnt und ewig Arm in Arm von neuem leben werden?«
Sie schüttelte abermals den Kopf.
»Nein, nein! ... Ich hab' es ja immer gesagt, daß meine arme Benedetta unrecht hatte, sich mit dem Gedanken an die andere Welt zu martern, indem sie sich ihrem Geliebten verweigerte, der sich so nach ihr sehnte! Wenn sie nur gewollt hätte – ich hätt' ihr den Geliebten in ihr Zimmer gebracht, ohne Standesamt und auch ohne Pfarrer! Das Glück ist so selten! Später, wenn keine Zeit mehr dazu ist, bereut man es so sehr! ... Ja, das ist die ganze Geschichte dieser beiden armen Herzchen. Es ist zu spät für sie, sie sind tot und es hilft nichts, wenn man die Liebenden unter die Sterne versetzt – sehen Sie, wenn man 'mal tot ist, ist man's; von dem Umarmen wird ihnen nicht mehr warm noch kalt.«
Nun überwältigten sie ebenfalls die Thränen; sie schluchzte.
»Die armen Kleinen! die armen Kleinen! Wenn man bedenkt, daß sie nicht einmal eine hübsche Nacht gehabt haben und jetzt die große Nacht da ist, die nicht mehr endet! ... Sehen Sie sie doch an! Wie weiß sie sind! Und denken Sie daran, wenn von den beiden Köpfen auf dem Kissen nichts mehr als die Knochen übrig sein werden, wenn nur die Knochen ihrer Arme sich noch umschlingen werden? ... Ach, mögen sie nur schlafen, mögen sie nur schlafen! Wenigstens wissen, wenigstens fühlen sie nichts mehr!«
Wieder trat eine lange Stille ein. Pierre, von dem Schauer seines Zweifels, von dem angstvollen Verlangen nach Ueberleben geschüttelt, blickte die Frau an, deren »schwache Seite« die Pfarrer nicht waren, die sich in ihrer bescheidenen, dienenden Stellung, seit fünfundzwanzig Jahren in ein fremdes Land verschlagen, dessen Sprache sie nicht einmal hatte erlernen können, ihre beauceronnische Freimütigkeit bewahrt hatte, die so friedlich und mit ihrer erfüllten Pflicht so zufrieden aussah. Ach ja, wer so sein könnte wie sie, wer das schöne Gleichgewicht eines gesunden, beschränkten Wesens haben könnte, das sich mit der Erde begnügte, das sich abends, nach Erfüllung des Tagewerkes, vollständig befriedigt niederlegte, unter der Bedingung, nie mehr zu erwachen!
Aber Pierre, der den Blick wieder auf das Totenlager gerichtet hatte, erkannte jetzt den alten Priester, der auf der Stufe kniete; man hatte seine Züge nicht erkennen können, weil er, von Schmerz niedergedrückt, den Kopf gesenkt hielt.
»Ist das nicht der Abbé Pisoni, der Pfarrer von S. Brigitta, wo ich ein paar Messen las? Ach, der Arme, wie er weint!«
»Er hat Grund dazu,« antwortete Victorine mit ihrer ruhigen Stimme. »An dem Tage, an dem es ihm einfiel, meine arme Benedetta mit dem Grafen Prada zu verheiraten, hat er wirklich einen schönen Streich gemacht. All die Greuel wären nicht
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