Rom kann sehr heiss sein
doppelten Genever. Als ich wieder zu Hause war, ging ich ins Bad. Das Parfüm stand neben vielen anderen Töpfchen und Fläschchen. Es gab hier offenbar alles, was eine junge Frau an Kosmetika braucht. Nagellack, Puder, Rouge, verschiedene Lippenstifte, Wimperntusche. Ich nahm das Parfüm und ging nach oben. Leise öffnete ich die Tür. Meine Mutter lag mit geschlossenen Augen in ihrem Kissen. Ihr Atem ging leise und gleichmäßig. Ich näherte mich ihrem Gesicht, spürte die Atemstöße aus ihren Nasenlöchern. Dann küsste ich ihre Stirn. Vorsichtig und voller Andacht. So wie ein frommer Mensch eine Reliquie küsst.
Am nächsten Morgen war sie tot. Ich bemerkte es zunächst nicht, als ich das Zimmer betrat, denn sie sah so lebendig aus wie schon lange nicht mehr. Im Aschenbecher auf dem Nachttisch lagen mindestens zehn Zigarettenkippen. Meine Mutter verströmte einen penetranten Geruch nach Parfüm. Die Flasche lag neben dem Bett auf dem Boden. Sie war leer. Ich rief den Arzt an. Irgendwie war ich ruhig dabei wie schon lange nicht mehr. Hätte man mich gefragt, hätte ich meinen Zustand als »ausgeglichen« beschrieben. Ich war vollkommen gelassen, ja, ich ertappte mich dabei, ein wenig zu lächeln wie jemand, der sich still und bescheiden eines Triumphes freut, der völlig ohne die Beihilfe anderer zustande gekommen ist.
Der Arzt kam mit seinem schwarzen Lederköfferchen. Ich sah zu, wie er ihren Körper untersuchte, den Puls prüfte, die Augenreflexe kontrollierte. »Sie ist tot«, sagte er. »Daran besteht kein Zweifel.« Er gab mir die Hand und schüttelte sie. Dann füllte er einen Schein aus. »Sie hat nicht gelitten«, fügte er hinzu. »Sie hat ein starkes Herz gehabt. So wie es aussieht, ist es ein Hirnschlag gewesen.«
Ich rief eine Bestattungsfirma an. Dann ging ich zu meiner Dienststelle. Der Pförtner kondolierte. So schnell also geht es mit dem Ableben, dachte ich. Und so schnell spricht es sich herum.
Ich rief meinen Chef an und bat um einen sofortigen Gesprächstermin. Ganz gegen seine Gewohnheiten willigte er ein.
»Meine Mutter ist heute Nacht gestorben«, sagte ich, als ich ihm gegenübersaß.
Er nickte. »Sie war eine starke Raucherin, habe ich gehört. Das wird ihr Ende beschleunigt haben.«
Ich fächelte die dicken Wolken Zigarettenqualm zur Seite, die mein Chef permanent ausstieß wie ein Fabrikschlot. Er hatte schon einen seltsamen Humor.
»Mein herzliches Beileid übrigens«, sagte er. Er erhob sich und schüttelte mir kondolierend die Hand. »Du kannst natürlich eine Woche freinehmen für all das, was dich jetzt erwartet. Aber dann musst du wieder deinen dienstlichen Verpflichtungen nachkommen. Es gibt da ein paar Schwierigkeiten mit holländischen Hooligans in Deutschland. Es sind eigentlich ganz nette Kerle, einer ist sogar Krankenpfleger, aber in Stadien machen sie eine eigenartige Verwandlung durch. Von Doktor Jekyll zu Mister Hyde, verstehst du?«
»Ich fahre nach Italien«, sagte ich.
»Du hast keinen Auftrag, meines Wissens jedenfalls.«
»Ich fahre trotzdem.«
»Dann bist du entlassen. Es reicht schon, dass du über vier Wochen den Dienst geschwänzt hast. Wir haben nichts unternommen, weil wir wussten, dass es mit deiner Mutter zu Ende geht.«
»O. K.«, sagte ich. »Ich pfeife auf meinen Job.«
»Piet«, sagte er und grinste so breit, dass ich fasziniert zusah, wie die Zigarette, die an seiner Unterlippe hing, zur Seite wanderte. »Ich glaube, du wirst allmählich erwachsen.«
»Ich fahre nach Italien«, wiederholte ich wie ein trotziger Lümmel. »Ich werde Dale suchen und vielleicht auch meinen Vater. Der soll nämlich noch leben, hat mir meine Mutter kurz vor ihrem Tod eröffnet.«
»Tu, was du nicht lassen kannst. Aber dann musst du auch die Konsequenzen tragen.«
Ich ging nach Hause. Die Leiche war bereits abgeholt worden. Aber der Parfümgeruch hatte vom ganzen Haus Besitz ergriffen.
Meine Mutter war längst aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Sie hatte nie versucht, mich zum Beten anzuhalten, als ich klein war. Ich war als Freigeist aufgewachsen. Nun erfuhr ich, dass sie vor einigen Monaten zum katholischen Glauben übergetreten war. Der Pfarrer erschien bei mir und beschwerte sich, dass ich ihn nicht hatte holen lassen, als es mit meiner Mutter zu Ende ging. So habe sie auf das Sakrament der Letzten Ölung verzichten müssen. »Und?«, sagte ich. »Rutscht man dann besser ins Jenseits?« Die Bemerkung war pubertär. Der Mann tat mir Leid. Er
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