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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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Übergang über die Wasserscheide mit seinem alten Leben ab und begann ein neues. Es war ein bewusster Akt der Verwandlung vom Mann des Wortes in den der Tat, vom Dichter in den Abenteurer und Kaufmann. Rimbaud ließ auf der Passhöhe seine Sprache, seine Poesie zurück. Als er die Wärme der südlichen Winde spürte, straffte sich seine Gestalt, und er machte sich auf in sein neues Leben. Auch wenn er unglücklich wurde, er hatte erfolgreich einen ersten Tod hinter sich gebracht und war wieder auferstanden. Aber er war zu Fußüber die Alpen gegangen, im Spätherbst, zwischen Schneewehen hindurch. Ich hingegen saß im bequemen Zug und starrte aus dem Fenster. Hatte ich wirklich alle Brücken hinter mir abgebrochen, wie man so schön sagt? Eines jedenfalls hatte ich getan: Ich hatte mein Haus einem Immobilienmakler zum Verkauf übergeben. Die schöne Villa meiner Mutter mit dem großen Garten voller Rhododendronbüsche. Ich würde die nächsten Jahre keine Geldsorgen haben, wenn ich einigermaßen sparsam lebte. Asketisch vielleicht. Dann würde es sogar bis ans Lebensende reichen.
    Kurz nach neunzehn Uhr erreichten wir die Stazione Termini. Es regnete in Strömen. Holländisches Wetter. Hinter den großen Glasscheiben der Eingangshalle wirkte die Stadt wie ein von wenigen Lampen angestrahlter ausgeblichener Gobelin. Ich war enttäuscht. Die Ewigkeit, die Rom den Zweitnamen gab, sammelte sich in Pfützen, und die kahlen Bäume sahen aus wie Käfer, die auf dem Rücken lagen und mit den Beinen zappelten. Es war böig, und etliche der aufgespannten Schirme schlugen um.
    Vor dem Bahnhof sprach mich ein Taxifahrer an. In gebrochenem Englisch bot er mir an, mich überallhin zu fahren, wohin ich wollte. Er kenne gute Adressen, gute Etablissements, schöne Frauen. Ich stieg ein und bat den Mann, mich in ein nicht zu teures Hotel zu fahren. Augenblicklich stürzte er sich in den Verkehr, und ohne dass ich auch die mindeste Ahnung hatte, wohin es ging, trieben wir in diesen unbeschreiblichen Katarakten von Autos, Vespas, Bussen, Fußgängern. Irgendwann hielt der Fahrer und deutete auf ein Hotel mit schmaler Fassade. »Sehr billig, aber doch auch komfortabel«, sagte er und strich den ziemlich hohen Betrag ein, den er mir für seine Dienste abverlangte.
    Der freundliche Mann an der Rezeption hatte tatsächlich ein Zimmer für mich. Er wies mich mit seinem spärlichen Englisch darauf hin, dass der Fahrstuhl einen Defekt habe, manchmal würde er einige Zentimeter zu hoch oder zu tief anhalten, dann gehe die Tür nicht auf. Man müsse einfach zurückfahren und es noch einmal probieren. Dann drückte er mir einen Stapel Prospekte zu Sehenswürdigkeiten der Stadt in die Hand.
    Das kleine Zimmer, in dem ich landete, war überhitzt. Die Heizkörper ließen sich nicht abstellen. Der sich an der Decke drehende Ventilator kämpfte mit dem Geruch nach kalter Asche und Putzmitteln. Der Fernseher zeigte meinen Namen. Ich setzte mich ans Fenster und blickte auf die Hinterhäuser mit ihren kleinen Balkonen, den Topfpflanzen in allen möglichen Stadien des Verfalls, den endlosen Bahnen trocknender Wäsche. Sie glichen Transparenten, auf denen für ein Leben in Sauberkeit geworben wird. Die Stadt erinnerte an einen Termitenbau, in dem es summte und brummte, als würde das Fest des Daseins nie zu Ende gehen.
    Ein dumpfes Glücksgefühl überkam mich, eine Art gedämpfter Euphorie, wie man sie zuweilen beim Betreten des Unbekannten empfindet, wenn man nur daran glaubt, dass das Neuland neben vielen Gefahren auch die Erlösung birgt. Lag vor mir wirklich ein neues Leben? Oder war es das alte in neuer Verkleidung? Ich starrte hinaus, ähnlich wie ich es in Bern getan hatte, aber wie anders war es hier! Keine schneegedämpfte Stille, sondern die chaotische Sinfonie des Lebens: Radiomusik, Hundegekläff, empörte Stimmen, hemmungsloses Kinderlachen, Gesang, aufheulende Motoren, Hupen, eine Polizeisirene, das Klappern von Geschirr.
    Ich blätterte in den Prospekten. Sie vermittelten den Eindruck einer in Würde und Hochglanz erstarrten Kulissenwelt. Dann entdeckte ich auf dem Nachttisch ein Buch, fleckig, abgegriffen, in schwarzem Einband. Die Bibel. Eine englische Übersetzung. Ich schlug sie auf, willkürlich, indem ich den Fingernagel irgendwo in den verblichenen Goldschnitt drückte. »Wie ein Vogel ist, der aus seinem Nest weicht, also ist, der von seiner Stätte weicht.« Einer der Sprüche Salomos. War er positiv gemeint? Er konnte auch eine

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