Rom kann sehr heiss sein
Kritik sein. Flügge werden und fliehen, irgendwie hing beides eng zusammen.
3. Nina
In den folgenden Tagen machte ich mehrere Versuche, Rom zu entdecken. Sie waren alle dilettantisch. Dabei versuchte ich so gut es ging, nicht in die Haltung eines Touristen zu verfallen. Tunlichst vermied ich es zum Beispiel, in Museen zu gehen. Sobald ich eine antike Säule sah, machte ich kehrt.
Zunächst einmal versuchte ich zu lernen, wie man in Rom eine Straße überquert. Ich beobachtete die einheimischen Fußgänger, sah mit Staunen, wie sie sich wie die Lemminge in den endlosen Strom aus Fahrzeugen stürzten und ihn mit ihren Leibern teilten. Immer schienen sie unbeschadet am anderen Ufer anzukommen, so wie Moses, als er mit seinen Anhängern trockenen Fußes das Rote Meer durchquerte. Nach anfänglichem Zögern tat ich es diesen Selbstmördern nach, und siehe da, auch mir wurde jenes mosaische Wunder zuteil. Die Fluten der Fahrzeuge aller Art, Vespas, Busse, Autos, teilten sich vor mir und schlossen sich hinter mir wieder, während die Touristen resigniert auf dem Bürgersteig warteten, dass sich eine Lücke im Verkehrsstrom ergab. Aber das geschah so gut wie nie.
Anfangs kam mir Rom wie ein riesiger Rummelplatz vor, der eher dem Missvergnügen denn dem Vergnügen dient. Permanente Hektik, Dauerstress bis in die späte Nacht hinein, wie konnte man es hier nur aushalten! Doch irgendwann nach zwei oder drei Wochen bemerkte ich bei mir erste Anzeichen von Sucht nach dem römischen Lebensstil. Ich begann, den Lärm und Smog zu genießen, mir erst gegen Mitternacht den Magen mit Innereien wie Kutteln voll zu schlagen. Ich freute mich an den hilflosen Versuchen der Verkehrspolizisten, die Sturzbäche von Fahrzeugen zu kanalisieren, und ich entdeckte, dass dieses Chaos seine eigenen Regeln produzierte, die alle mit fast preußischer Disziplin befolgten. Nie wurde ich Zeuge eines Unfalls, nie einer Schlägerei, nie sah ich einen total Betrunkenen. Es war unglaublich, diese Hölle hatte ihre Hausordnung, an die sich alle Insassen begeistert zu halten schienen.
Ich zog um. Mein Hotel wurde mir zu teuer, das Ritual mit dem defekten Fahrstuhl zu mühsam. Es lag auch zu weit weg vom Auge des Hurrikans, der Altstadt.
Ich hatte Glück, denn ich entdeckte an einer Hauswand einen kleinen Zettel mit einem Wohnungsangebot. Eine kleine Zweizimmerwohnung in der Nähe der Piazza Navona und der kleinen Piazza di Pasquino, die ihren Namen von der berühmten sprechenden Statue hat, die hier im Jahre 1501 der spottlustige Schneider Pasquino aufstellte, um an ihr des Nachts Zettel mit seinen spöttischen Bemerkungen über Stadt- und Kirchenpolitik zu befestigen, eine Tradition, die sich bis heute gehalten hat.
Die Wohnung gehörte einer jungen Frau, die offensichtlich in Geldnöten war. Sie vermietete sie mir zu einem günstigen Preis zusammen mit einem kompletten persönlichen Kosmos aus Büchern, Geschirr und Bildern, eine angenehme Lebenswelt, von künstlerischen Ambitionen geprägt, die die Primitivität der Installationen und sanitären Einrichtungen erträglich machten.
Der Eingang zum dunklen, kühlen Treppenhaus lag zwar in der ruhigen kleinen Via del Teatro Pace, aber die Fenster gingen auf die äußerst belebte Via del Governo Vecchio hinaus. Diese enge Straße schien eine besonders beliebte Verkehrsader der eng bebauten Altstadt zu sein, durch die sich in einem fort zahllose Menschen und Fahrzeuge drängten. Erschwerend kam hinzu, dass an vielen Stellen Stühle, Sonnenschirme, Tische vor den Häusern standen, die die Ader gefährlich verengten, sodass ständig ein Verkehrsinfarkt drohte. Dort saßen dann ab vier Uhr nachmittags Anwohner, Passanten und Touristen im blauen Nebel der Abgase und genossen das römische Leben, wobei Wein und Essen sie offenbar wie Medikamente davor schützten, in dieser verrückten Gassenwelt zu ersticken.
Wenn ich in meiner Wohnung war, hörte ich ununterbrochen diesen an- und abschwellenden Klang, der alles enthielt und abbildete, was draußen geschah. Ich brauchte nicht hinauszusehen, um zu wissen, dass wieder einmal ein Transportfahrzeug zwischen Stühlen und Kübelpflanzen stecken geblieben war. Doch nicht die Hupen, nicht die anderen lauten Geräusche, nicht das Kläffen von Hunden, sondern jener seltsame, unartikulierte Gesang aus tausend Mündern, die sich schreiend unterhielten, jene Liturgie absurder Daseinsfreude, die endlosen Dialoge und Monologe über die einfachsten Vorgänge und Probleme
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