Rom kann sehr heiss sein
Frauen zu Wege bringen. Kein taxierender Blick, sondern einer, der die körperliche Vereinigung vorwegzunehmen scheint. Feige und verlegen, wie ich in solchen Situationen bin, senkte ich die Augen. Da hörte ich ihre Stimme in einem guten Schulenglisch sagen: »Morgen um drei auf der Tiberinsel, unter der Brücke.«
Ich kam natürlich zu früh am nächsten Tag. Unter der Brücke spielte ein schöner, blonder Jüngling Altsaxofon. Er schien fasziniert zu sein von der Akustik, die unter dem Brückenbogen herrschte. Es war einer der ersten heißen Tage des Jahres, und auf den Betonfundamenten, die die wie ein großes Schiff geformte Insel umgaben, lagen leicht bekleidete Menschen. Ich setzte mich ein wenig abseits, lauschte den gekonnten Phrasen und Riffs des Musikers und dem Rauschen des Tibers, der grün war wie Jade. Dann sah ich sie, von der ich noch nicht einmal den Namen wusste. Sie trug enge, über dem Knie künstlich zerrissene Jeans, eine schwarze, knapp sitzende Bluse, die den Nabel freiließ. Ihre glatten, tiefbraunen Haare schmiegten sich um ein Botticelligesicht, das uralt war und zugleich unschuldig jung. Sie setzte sich wortlos neben mich und begann eine Zigarette zu rauchen. Ich wagte kaum, sie anzusehen. Ihr Make-up war perfekt, die Lippenbemalung genauso wie der Lidstrich. Ihre Jugend betäubte mich, ihre Nähe, die etwas Tierisches und zugleich Steriles hatte. Ich war hin und her gerissen zwischen väterlichen Gefühlen und denen eines romantischen Liebhabers. »Bist du Deutscher?«, fragte sie. Ihre Stimme war melodiös, und der Singsang ihrer Muttersprache überlagerte das Englisch, das sie sprach.
»Nein«, sagte ich. »Ich komme aus Holland.«
Sie blickte mich von der Seite an wie eine Touristin, die eine römische Säule betrachtet. »Ich dachte, Holländer sind blond«, fuhr sie fort.
»Es gibt Ausnahmen«, sagte ich.
Sie fing plötzlich an zu kichern. Dabei legte sie ihren braunen, weichen, runden Arm um meinen Hals. »Du siehst aus wie Jesus, nachdem er beim Friseur war! Lass deine Haare wieder wachsen.«
Sie hatte Recht. Ich beschloss, nicht mehr zum Frisör zu gehen, obwohl es von Haarstudios in Rom nur so wimmelt und Römer und Römerin anscheinend einen gut Teil ihrer Lebenszeit in diesen Agenturen für Klatsch und Schönheit verbrachten. Ich hatte mir meine ehemals langen Haare vor längerer Zeit abschneiden lassen, wohl um zu dokumentieren, dass ich erwachsen geworden sei. Nur keine Assoziationen an die alte Hippiezeit. Ich trug die Haare kurz, sehr kurz sogar, um mehr Wirklichkeitssinn zu signalisieren. Welch ein Unsinn, welch dumme Verkleidung! Innerlich trug ich die Haare immer noch schulterlang, sollten sie also wieder wachsen!
Wir legten uns wie die anderen dicht nebeneinander auf den heißen Beton. Ich fühlte mich geborgen wie schon lange nicht mehr. Ich musste eingeschlafen sein. Als ich die Augen öffnete, sah ich einen Mann mit einem Kind. Beide hatten Fahrräder dabei. Das war nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich waren die Räder. Es waren Pedersen. Das des Mädchens war ein exakter Nachbau in verkleinerter Form. Ich hatte noch nie eines dieser wunderschönen Räder in dieser Region der Welt gesehen. Ich stand daher auf und verwickelte den Mann in ein Gespräch. Er strahlte, als ich ihm sagte, dass ich ebenfalls Besitzer eines Pedersen sei. Dann klagte er sein Leid über die italienische Politik im Allgemeinen und die hiesige Verkehrspolitik im Besonderen. »Sie haben nur Autos im Kopf. Motorroller sind das unterste Verkehrsmittel, das noch als solches anerkannt wird. Fahrräder zählen nur als Sportgerät. Meine Vereinigung und ich haben mühsam durchgesetzt, dass ein paar Fahrradwege gebaut werden, vor allem am Tiber entlang. Man kann jetzt ohne selbstmörderisch veranlagt zu sein, eine ganze Strecke am Tiber entlangfahren. Teilweise sind die Wege noch schlecht. Bei jedem Hochwasser werden sie schlechter. Aber immerhin.«
Er zeigte auf seine Tochter, die uns mit strahlendem Lächeln zusah. »Ich tue das alles für sie. Damit sie es eines Tages besser hat. Wir sind gegen ein autodominiertes Italien. Das ist hier nicht ungefährlich. Wir sind eine Gruppe von Fahrradkommunisten. Ich habe eine kleine Werkstatt in einem Vorort, einige Kilometer tiberaufwärts. Ich konstruiere und baue Fahrräder. Aber ich lebe davon, dass ich Vespas repariere. Besuchen Sie mich mal. Jeder kennt mich dort unter dem Namen Alfredo, il biciclettista.« Er gab mir die Hand, steckte mir eine
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