Rom kann sehr heiss sein
gezielte Breitseite.
Was sein Verhältnis zu mir anbelangte, war ich mir unsicher. Er schien anzufangen, mich zu mögen, ja, auf seine Weise zu lieben, aber seine Vatergefühle äußerten sich in unbarmherzigem Spott und zuweilen in weinerlichen Beteuerungen seiner Schuldgefühle mir gegenüber, wobei er tausend Gründe anführte, warum er so und nicht anders hatte handeln müssen. Er verteidigte sich, aber was verteidigte er eigentlich so verzweifelt?
»Mutter hat mir immer erzählt, dass du im Widerstand gegen die Deutschen warst. Kurz vor ihrem Tod hat sie behauptet, du wärst in Wirklichkeit auf Seiten der Nazis gewesen. Stimmt das?«, fragte ich ihn einmal.
Er lachte daraufhin und sagte: »Ja, ich habe für die Gestapo gearbeitet, mein Junge. Das klingt heute schlimmer, als es damals war. Jede Zeit hat ihre spezielle Unmenschlichkeit. Eine Weile waren es die Faschisten, dann die Kommunisten, heute sind es die Medien. Ihr Rassismus ist nur scheinbar subtiler.«
Ich vermied es, zu widersprechen, deutete auf seine Uniform, die neben der Tür seines Zimmers am Haken hing. »Bist du mal zur See gefahren, bei der holländischen Marine?«
»Ich hab mir die Uniform beim Trödler gekauft, in Amsterdam. Heute verschafft sie mir auf diesem verdammten Seelenverkäufer eine gewisse Reputation. Das Ganze ist ein Riesenspaß, mit dem ich meine innere Verzweiflung kaschiere. Aber das verstehst du wahrscheinlich nicht. Überhaupt, was ich am meisten bei dir vermisse, ist der Humor. Du nimmst alles viel zu ernst, mein Junge. Das ist, wie wenn man mit zu viel Klei an den Schuhen durch die Gegend rennt.«
Eines seiner Lieblingsthemen war die Gentechnologie. Sein Wissen in diesem Bereich war erstaunlich. Er schien es aus Büchern und aus langen Gesprächen mit Dottore Falsini, seinem Arzt, gewonnen zu haben. Falsini war Chefarzt der urologischen Abteilung und zugleich, wie ich erfuhr, eine Kapazität auf dem Gebiet der Genforschung. Ich sah diesen Mann flüchtig bei einem meiner ersten Krankenhausbesuche. Er hinterließ einen starken Eindruck bei mir. Falsini kam aus dem Zimmer meines Vaters. Es war wohl die tägliche Visite. Er war hager und hatte das, was man einen interessanten Kopf nennt. Eigentlich sah er mehr wie ein Künstler, wie ein Schriftsteller aus. Ein wenig erinnerte er an Jean Cocteau. Ein scharf geschnittenes Profil, eine lange Nase mit schmalem Rücken. Kein Anzeichen von Glatzenbildung. Die vollen Haare grau, zurückgekämmt, leicht gewellt. Ausdrucksvolle Ohren, ein schmallippiger, jedoch sinnlicher Mund. Der Mann zog mich an und stieß mich zugleich ab. Eine Verkörperung von Gegensätzen. Darin passte er zu meinem Vater. Die beiden schienen sich außergewöhnlich gut zu verstehen.
Doktor Falsini schüttelte mir die Hand. »Wie steht es mit ihm?«, fragte ich.
»Er erfreut sich bester Krankheit«, lautete die Antwort. »Ihr Vater kann jeden Tag den Styx überqueren. Er hat zu gut gelebt. Deshalb wird er auch gut sterben. Ich tippe auf den Bruch irgendeiner Ader. Vielleicht im Bereich des Magens. Das kann morgen sein oder auch erst in einem Jahr.« Falsini verschwand, von zwei Assistenzärzten beschattet. Ich nahm an, dass er der eigentliche Kapitän auf diesem Tiberschiff war.
Mein Vater hatte das Gespräch durch die angelehnte Tür mit angehört. Ich zog den Stuhl ans Bett und setzte mich. »So ist es, Piet«, sagte er mit einer kläglichen Stimme, die sich jedoch im Verlauf seiner Rede festigte. »Ich bin ein Todgeweihter, mein Junge. In diesem Land liegen Grausamkeit und Menschlichkeit sehr nahe beieinander. Ettore Falsini ist ein gutes Beispiel dafür. Er ist ein Schwein von hoher Moral. Das Beste an ihm: Er heuchelt nicht. Aber er lügt wie gedruckt. Er tut Gutes und ist zugleich ein vollkommener Bösewicht. Je weiter du in den Süden kommst, umso näher liegen solche Gegensätze beieinander. In deiner Heimat, mein Junge, liegen Welten zwischen ihnen, und diese Welten sind das eigentliche Problem, sie sind nämlich nass, kalt, windig, ungemütlich, und was das Schlimmste ist, sie sind äußerst langweilig. Es ist die protestantische Lücke, die dort klafft. Du hast bei allem, was du tust, ein schlechtes Gewissen. Wenn die Sonne scheint, denkst du heimlich an Regenschirme. Wenn es regnet, verspürst du den Wunsch, in ein Solarium zu gehen. Hier in Italien ist es anders. Man nimmt den Regen ebenso hin wie die Sonne. Beides sind einfach kostenlose Geschenke des Himmels! Wahrheit und Lüge unterscheiden
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