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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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sich hier kaum voneinander, wie ich schon sagte. Das bekommt beiden sehr gut, wie ich finde. Es gibt keinen Heiligen hier, der nicht ein großer Sünder ist. Die Päpste sind zumeist wahre Prachtexemplare dieses Dualismus, und wenn nicht, dann leben sie nicht lange.«
    Er faltete die Hände über der Bettdecke und lächelte selbstzufrieden. Ich fand, dass er schlecht aussah. Die Hautfarbe war gelber als sonst. Ich hatte eine Flasche Rotwein aus dem Piemont dabei. Ich öffnete sie und füllte die beiden Gläser, die ich ebenfalls mitgebracht hatte. Wir stießen an. Draußen rauschte der Tiber. »Wir machen ganz schön Fahrt«, sagt er. »Aber wir kommen nicht voran. So ist es im Leben.«

6. Ein alter neuer Freund

    Es war inzwischen Ende Juni, und die Stadt stöhnte unter einer Hitzeglocke. Ich hielt es in meiner aufgeheizten Wohnung tagsüber nicht aus. Fast jeden Vormittag besuchte ich meinen Vater. Langsam begriff ich: Er existierte in einem gewissen Sinne nicht wirklich. Auch er war ein Vexierbild. Etwas, das nur durch die Schraffuren der Umgebung sichtbar wird. Galt das Gleiche auch für mich? Für die meisten Menschen? Wurden wir nur erkennbar im Zusammenhang mit unserer Umgebung, mit dem, was wir taten und was uns angetan wurde? Mein Vater war so etwas wie eine negative Persönlichkeit. Er hatte wenig eigene Substanz. Ich spürte, dass alles, was mein Vater zum Besten gab, irgendwie zusammengesponnen war, mutwillig hinausposaunt aus der Stille seines Innersten. Dennoch ertappte ich mich dabei, ihn zu bewundern, ja anzuhimmeln.
    Es war erstaunlich, wie viel er wusste. Man konnte mit ihm über nahezu jedes Thema reden. Zuweilen sprachen wir über meine Mutter. Er schien sie auf seine Art zu verehren. Er beschrieb sie als hilfloses Mädchen. Ihre ganze Härte und Tyrannei, ihr Egoismus sei nur eine Art Kaschierung einer dünnschaligen Existenz, einer verletzlichen Seele gewesen. Er sei damals nicht in der Lage gewesen, ihr Halt zu geben. Das sei der wahre Grund dafür gewesen, dass er auf und davon gegangen sei mit dieser italienischen Schlampe.
    An den Nachmittagen fuhr ich häufig ziellos mit dem Bus durch Rom und seine Vorstädte. Inzwischen beherrschte ich die römische Busartistik. Man muss mit dem dortigen Bussystem spielen wie mit einem Flipper. Sich mit dem nötigen Hüftschwung Platz verschaffen. Die Busse wechseln, wenn man den intuitiven Eindruck hat, dass die Richtung nicht stimmt. Fahrpläne erübrigen sich. Sie sind wie die Heilige Schrift, die nichts mit der realen Moral der Gläubigen zu tun hat.
    Nina erschien seit einiger Zeit nicht mehr bei mir. Sie musste auch ihre Putzroute geändert haben. Auf der Piazza del Pasquino ging jetzt morgens eine andere, nicht weniger attraktive Frau ihrer Arbeit nach. Ein paar Mal versuchte ich, Nina auf ihrem Mobiltelefon zu erreichen, ohne Erfolg. Immer wieder diese gleiche Stimme: »The person you are trying to reach is not available.«
    Dann geschah ein Wunder. Ich war mit der Linie 64 zur Piazza San Pietro gefahren. Ich wollte in die Vatikanischen Museen, nicht nur wegen ihrer Schätze, sondern auch wegen ihrer Klimaanlage. Als ich ausstieg, fiel mein Blick auf ihn! Auf diesen Mann, den ich schon fast vergessen hatte und der mir doch einmal wichtig gewesen war.
    Ich erkannte ihn nicht an seinem Gesicht, nur an seiner Narbe, diesem roten Streifen, der vom Auge bis zum Mundwinkel die linke Wange querte, als habe ihn dort ein Peitschenhieb getroffen. In Wirklichkeit war es die bleibende Spur eines lebensgefährlichen Messerstiches. Ich folgte dem Mann, ehe er in der Menge auf dem Platz verschwand. Als ich ihn erreicht hatte, legte ich meine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich um und musterte mich. Über sein großflächiges Gesicht huschte ein Lächeln, das alles erfasste: Augen, Nase, die Fältchen über den Backenknochen. »Piet«, sagte er. »Du bist es wirklich! Ist das nicht verrückt? Ausgerechnet hier in diesem Menschengewimmel? Ja, Gottes Wege sind unerforschlich, sagt man nicht so? Komm, wir gehen einen trinken.«
    Wir gingen zurück über den menschenschwarzen Petersplatz und setzten uns in eines der Cafés an der Via della Conciliazione, wo der Espresso viermal so viel kostet wie in der Innenstadt. Jetzt, da ich sein hartes Englisch hörte, war er mir wieder ganz vertraut. Dieser scharfe Verstand und diese milde Seele hatten den einzigen Körper, der zu ihnen passte. Eine massige, unbeholfen wirkende Gestalt, die sich jedoch erstaunlich flink zu

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