Rom kann sehr heiss sein
Organs, die ich noch zustande bringe. Sie wissen, was ich meine.«
Gelächter. Ich war irritiert. Mein Vater war ein Schwätzer, der sich einen Spaß daraus machte, mit seinem angelesenen Wissen einfache Leute zu betören. Mein Impuls, davonzugehen, wurde stärker, doch der angenehme Klang seiner Stimme, der selbst die derbsten Zoten veredelte, bannte mich. Mein Vater wandte sich jetzt den neuesten Erkenntnissen auf dem Gebiet der Genforschung zu. »Die Fortschritte der letzten Zeit sind ungeheuer«, sagte er. »Man wird aus uraltem, genetischem Material neue Lebewesen erschaffen, man wird sie aus der Vergangenheit ans Licht der Gegenwart zurückholen. Jesus zum Beispiel. Er wird wieder auferstehen, und zwar mitten unter uns. Wir brauchen nur seine DNA, das ist alles. Und haben wir sie nicht in der Reliquienkammer des Vatikans? Wir haben, wie jeder weiß, seine Vorhaut, und das gleich dreimal!«
Es gab Gelächter. Jemand rief: »Hört, hört, drei Vorhäute!«
»Wir werden über kurz oder lang künstliche Menschen haben, davon könnt ihr ausgehen, meine Lieben. Ihr seid jetzt schon Auslaufmodelle. Eselskarren der Existenz. Ihr seid Chimären, das sind missgestaltete Mischwesen zweier Gattungen, in eurem Falle geht es um die Mischung von Affe und Mensch. Geklonte Menschen werden dagegen wie Autos sein. Schick, schnell, wendig, elegant, alle Einzelteile austauschbar.«
»Klonen von Menschen ist verboten«, warf ein kleiner Mann mit cholerisch rotem Gesicht ein. »Der Papst lässt es nicht zu.«
»Dass ich nicht lache«, sagte mein Vater. »Es wird längst geklont, du Clown. In irgendwelchen Geheimlabors. Außerdem, geistiges Klonen ist sowieso längst gang und gäbe. Du musst nur die Glotze anmachen, und du befindest dich mitten in einem Klonzirkus.«
Sein Blick fiel wie beiläufig auf mich. Er begann zu kichern. »Man redet derzeit so viel vom Schutz des menschlichen Lebens. Embryonenschutz zum Beispiel. Diese ganze leidige Stammzellendebatte. Es heißt, das Leben beginne mit der Befruchtung des Eis durch den Samen. Das ist eine dumme, mechanistische Vorstellung. Für manche beginnt das Leben nie, auch wenn sie noch so alt werden.« Er zeigte mit dem Stock auf mich, stemmte sich vom Stuhl hoch und ging den Flur entlang. Einmal drehte er sich um und winkte mir mit der Krücke. Es war ein deutlicher Befehl, ihm zu folgen.
In seinem Zimmer setzte er sich aufs Bett und zog sich die Uniform aus. Den Beutel mit seinem honigfarbenen Urin hängte er seitlich an einen Haken an der Bettzarge. Er schien sich in keiner Weise zu genieren. Seine dünnen, von Krampfadern übersäten Beine verrieten durch die mächtigen Gelenke, wie stattlich dieser Mann einmal gewesen sein musste. Der Brustkorb mit den faltigen Hautsäcken, wo einmal Muskulatur gewesen war, war immer noch erstaunlich breit. Seine ledrige Haut war weiß behaart. Das Geschlechtsorgan wirkte erstaunlich jung, als sei es präpariert. Kaum zu glauben, dass ich diesen Lenden entsprungen sein sollte. Ein leiser Ekel packte mich. Dann lieber eine künstliche Zeugung in vitro, dachte ich. War ich nicht überhaupt in vitro gezeugt? In der gläsernen Welt meiner Mutter?
»Setz dich«, sagte er. Ich ließ mich auf dem einzigen Stuhl nieder. »Du hast mich also ausfindig gemacht. Dass du mein Sohn bist, war mir schon klar, als ich dich da unten mit dem Mädchen gesehen habe. Es war weniger die äußere Ähnlichkeit als die innere, weißt du, was ich meine?«
Ich starrte ihn an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du kannst mich unmöglich erkannt haben nach so langer Zeit, Vater.« Er grinste. »Wenn ich ehrlich bin, die Wahrheit ist, ich habe ein Foto von dir. Ich habe deiner Mutter vor ein paar Jahren geschrieben. Wegen meinem Haus in Groningen, das sie sich unter den Nagel gerissen hat. Ich brauchte Geld, wollte, dass sie es für mich verkauft. ›Es ist für den da, er ist nicht besonders lebenstüchtig, er wird das Geld eines Tages mehr brauchen als du‹, schrieb sie zurück und legte ein Bild von dir bei.«
Ich wollte etwas sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Ich hatte einen Kloß im Hals, der mich am Sprechen hinderte. Immer noch fürchtete ich, in Tränen auszubrechen.
»Du wirktest da unten ziemlich hingebungsvoll. Das Mädchen an deiner Seite ist deiner Gefühle zwar nicht wert, aber du selbst bist es. Das war bei mir genauso, als ich jünger war. Jetzt bin ich ein alter Zyniker. Wider Willen, glaube mir. Die Menschen haben mir diese Geisteshaltung
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