Rom kann sehr heiss sein
bewegen vermochte, ein Mann von großer Güte und viel Humor. Ein Mann des Nordens. Einar Berglund. Inspektor aus Rovaniemi in Nordfinnland. Wir hatten uns vor einigen Jahren anlässlich eines Falles kennen gelernt, bei dem es um die Ermordung eines holländischen Ehepaares bei Kautokeino ging. Ich hatte damals irgendwann im ewigen Licht des Mittsommertages auf seinem Balkon gesessen und Mozzarella aus Rentiermilch mit Tomaten gegessen.
Berglund war Italienfan, seine Frau Italienerin. Sie verfügte über eine überraschende, gemäldehafte Schönheit. Ich erinnerte mich immer noch an ihre grauen Augen, ihren klassischen Mund, ihre Lockenpracht. Sie war mir damals vorgekommen, als sei sie einem Bild von Caravaggio entstiegen und gerade dabei, wieder in es zurückzukehren.
Wir brauchten eine Weile, bis wir die Tatsache einer solch unverhofften Begegnung verdaut hatten. Einar nützte dazu das Talent seiner nordischen Natur: eine Art aufgewühltes Schweigen. Schließlich sagte er: »Diese Straße ist eine Katastrophe. Nicht nur ist der Espresso schlecht und teuer. Sie ist auch eine der schlimmsten Bausünden Roms, bei der sich die Kollaboration zwischen Kirche und Faschismus besonders ekelhaft manifestiert hat. Früher war hier ein enges Gewirr von Gassen. Es gab wunderschöne Kirchen wie San Michele Arcangelo und Santa Maria delle Grazie. Wenn man sich durch dieses Viertel hindurchgewühlt hatte, öffnete sich plötzlich der Petersplatz, eine echte Offenbarung im wahrsten Sinne des Wortes. Stattdessen ließen der Duce und der Papst in solidarischer Prunksucht diese dumme Prachtstraße hier bauen, die dem Petersplatz und dem Dom das Geheimnis stiehlt.«
»Du liebst Rom«, sagte ich. Er nickte.
»Wie geht es deiner Frau?«
Er lächelte gequält. »Es geht ihr gut, Piet. Vermutlich viel zu gut sogar. Das Problem für mich dabei: Es geht ihr gut mit einem anderen Mann. Einem Landsmann von ihr übrigens.« Seine Narbe leuchtete röter als vorher.
»Und warum bist du hier? In ihrer Heimat? Willst du den Kerl umbringen?«
Er lachte wieder, aber die Bitterkeit in seinen Zügen war unverkennbar. Gerade weil Einar über so viel Güte verfügte, schien sich ein negatives Gefühl seiner Mimik besonders stark mitzuteilen. »Sie sind tatsächlich hier in Rom. Er ist Geschäftsmann. Armbanduhren. Ich glaube russische Fälschungen einer bekannten italienischen Marke. Sehr erfolgreiches Produkt. Nein, ich bin nicht wegen ihm hier oder wegen Pia. Ich hoffe allerdings, diese Stadt ist groß genug, um eine zufällige Begegnung zu verhindern.«
»Bei uns hat diese Hoffnung getrogen.«
»Das sind die guten Seiten der Nemesis, Piet. Man trifft den, den man verdient.«
Damals im hohen Norden war zwischen Einar und mir wohl so etwas wie eine echte Männerfreundschaft entstanden, wobei wir von Anfang an gewusst hatten, dass sie sich auf Grund großer geografischer Hürden nur selten verwirklichen lassen würde. Und in der Tat, außer ein paar E-Mails hatte es all die Jahre keinen Kontakt mehr gegeben. Jetzt nahm ich spontan seine Hand, die groß und breit war und rötlich behaart. »Es ist kein Zufall, dass wir uns getroffen haben, Einar. Glaubst du an Zufälle? Ich bin mir nicht sicher, was dieses Wort überhaupt meint. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der so genannte Zufall sich besonders intensiv um zwei Arten von Personen kümmert: um die besonders unglücklichen und die besonders glücklichen.«
»Jaja, die Nemesis«, murmelte er und nahm nun meine andere Hand und drückte sie fest. »Du denkst immer noch an den Fall in Lappland. Nemesis als die geheime Struktur hinter dem Zufall, die ihn ordnet im Sinne einer strafenden Gerechtigkeit?«
»Ja, Einar, ich glaube an die Nemesis. Dabei ist es schwer, in dieser Stadt überhaupt an etwas zu glauben. Der Glaube ist hier eine Art Industrie der Gefühle, ein Konzern mit lauter alten Männern im Vorstand.«
Einar trank den Espresso in kleinen Schlucken und bestellte zwei Grappa. »Ich bin übrigens dienstlich hier«, unterbrach er mich. »Ich verfolge eine seltsame Sache, eine Spur wie eine Wolfsspur im Schnee. Leider ist es hier verdammt warm, und Schnee bleibt nicht liegen, wenn er überhaupt fällt.«
Er sah hinaus auf das glühend heiße Pflaster, und ich meinte, so etwas wie Heimweh in seinem Gesicht zu lesen. »Und du? Was machst du hier?«
»Ich weiß es nicht genau. Eigentlich wollte ich meine Freundin suchen, die mich verlassen hat, wie ich fürchte. Vielleicht suche ich
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