Rom kann sehr heiss sein
mich verlassen‹. Alle, die ihn umstehen, warten, ob der Vater kommt, um seinem Sohn zu helfen. Aber nichts dergleichen geschieht. Jesus schreit noch einmal laut nach ihm und verscheidet. Schlimmer kann die Demütigung nicht sein. Matthäus und Markus berichten von ihr fast wortgleich. Lukas und Johannes übergehen diese Details, sicher, weil es ihnen zu grausam erschien. Bei Lukas sagt der Sohn ›Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände‹, bei Johannes noch platter: ›Es ist vollbracht.‹ Ich neige dazu, dass die beiden ersten Chronisten die Wahrheit sagten. Christus fühlt sich verlassen, ein Abgrund tut sich auf. Es ist die grausame Geschichte vom verlorenen Vater. Ein echtes Problem. Ich weiß, wovon ich rede. Denn auch ich hatte einen verlorenen Vater, und lange Zeit auch Sie.«
Er wirkte erschöpft, griff nach der Karaffe, stand auf und schenkte mir ein. Dabei kam er mir so nahe, dass ich seinen Atem roch und die scharfe Seife, mit der er sich wusch. Er setzte sich wieder und sagte mit leiser Stimme: »Das jeweils am einzelnen Menschen begangene Unrecht hat sich im Verlauf der Geschichte zu einem riesigen Haufen Unrat angesammelt, der nun der Humus für immer neue Aggressionen ist. Jedes einzelne verhungerte Kind in den letzten zweitausend Jahren hat den Misthaufen der Brutalität vergrößert. Und die Kirche hat leider ihren Anteil zu diesem Berg aus Unrat beigetragen. Wir brauchen heute einen Neuanfang. Mit einem völlig neuen Menschen.«
Ich deutete auf das Kruzifix, das an der Wand hing. »Was Sie sagen, passt, wie mir scheint, nicht zu dem offiziellen Bild, das die katholische Kirche von sich entwirft, Monsignore. Ich war neulich in der Sixtinischen Kapelle, dem vom Heiligen Geist bevorzugten Ort im Vatikan, denn hier findet die Wahl des Papstes statt. Doch von Heiligkeit war hier nichts mehr zu spüren. Sie kam mir vor wie eine Bahnhofsvorhalle, von der aus ein Zug ohne Passagiere in die Ewigkeit fährt. Lag es daran, dass Michelangelos Fresken restauriert worden sind? Oder daran, dass die vielen Leute, die sich hier drängten, dieser Querschnitt der Erdbevölkerung, seltsam verloren wirkten? Zwischen Adam und Gottvaters Finger auf dem Deckengemälde jedenfalls sprang kein Funke, beide zeigten sie anklagend aufeinander. ›Du bist schuld! – Nein du‹, schienen sie zu sagen. Adam ist wie Jesus der Sohn schlechthin. Sohn und Vater verstehen sich nicht mehr, beide sind vom Heiligen Geist verlassen.«
»Darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist eine Erfindung der Theologen des 3. Jahrhunderts ist? In der Bibel selbst kommt sie nicht vor, die Bibel kennt nur den Dualismus von Vater und Sohn. Übrigens, eine der interessantesten Aussagen, die die Bibel zu diesem Dualismus macht – seltsamerweise nicht im Neuen Testament, sondern im Alten –, findet sich im achten Kapitel der Sprüche Salomonis. Da ist der Sohn die Weisheit des Vaters. Sie war vor der Erschaffung der Welt da. In Vers zweiundzwanzig heißt es von der Weisheit: ›Der Herr hat mich gehabt im Anfang seiner Wege; ehe er was machte, war ich da‹. Von hier ist es nicht weit zur großartigen Aussage des Johannesevangeliums ›Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‹. Und wenig später heißt es: ›Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater.‹ Das ist etwas für Mystiker. Der Vater ist das abstrakte Wort, der Sohn ist dessen Realisierung. Für den Heiligen Geist ist streng genommen kein Platz. Die einzige Bibelstelle, auf die sich die Theologen hinsichtlich des Heiligen Geistes berufen konnten, ist eine spätere Ergänzung, frühestens im 3. Jahrhundert in den Textstand eingedrungen. Das berühmt-berüchtige Komma Johanneum, aus dem ersten Brief des heiligen Johannes: ›Und drei sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist; und diese Drei sind eins.‹ Hier wird der Sohn wieder mit dem Wort identifiziert. Er ist der Sprache gewordene Vater. Der Heilige Geist, das ist eine missverständliche Übersetzung. Das zu Grunde liegende Wort ist Pneuma, Wind, Odem, Atem. Der Odem, der Atem des Lebens, den der Schöpfergott dem Lehmklumpen einhaucht, um daraus Adam zu machen. Heute brauchen wir ihn wieder. Wir brauchen, wie ich bereits sagte, einen neuen Adam. Wir brauchen ein neues Pneuma. Der alte Adam macht die Welt nur immer weiter kaputt. Ich bin der
Weitere Kostenlose Bücher