Rom kann sehr heiss sein
Dennoch habe ich nichts gegen sie. Klonen ist etwas Natürliches. Eineiige Zwillinge sind zum Beispiel echte Klone. Auch die leidige Frage der Wesensgleichheit oder Wesensähnlichkeit zwischen Gottvater und dem Gottessohn würde sich vor diesem Hintergrund erledigen lassen. Klone sind genetisch gleich und doch nur wesensähnlich, denn außer den Genen des Zellkerns wird das Wesen eines Menschen auch von seiner Umwelt bestimmt, vom Zellplasma bis hin zum gesellschaftlichen Milieu. Ich sehe also nicht das Problem einer zu großen Normierung der Existenz, das sie angesprochen haben. Dennoch verstehe ich voll und ganz ihre Skrupel.«
Er seufzte und sah bekümmert aus. »Möchten Sie noch etwas von der Lasagne?« Dann rief er mit erstaunlich kraftvoller Stimme: »Magdalena, bring Doktor Hieronymus noch etwas aus deiner Küche. Und vergiss die Flasche nicht. Du weißt, welche ich meine.«
Magdalena brachte mir einen Teller. Außerdem hatte sie eine Flasche mit zwei kleinen Gläsern dabei. Monsignore Tanner entkorkte sie und schenkte ein. Dann hob er sein Glas. »Auf den Vater und den Sohn«, sagte er. Wir tranken. Es war, als füllte mich eine uralte Wärme aus. »Grappa di Amarone«, sagte mein Gegenüber. »Es ist das Manna dieser Gegend. Sie wissen, Manna, die zuckerhaltigen Exkremente der Schildlaus, mit denen Moses sein Volk vor dem Hungertod rettete. Ich weiß, dass Sie ein Sucher sind. Ich könnte Ihnen helfen. Sie sind auf dem Wege und haben die Orientierung verloren. Kommen Sie doch in eine unserer Versammlungen. Wir treffen uns jeden Freitagabend hier.«
»Wer ist ›Wir‹?«
»Wir sind Menschen unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Berufe, Bildungsgrade. Aber uns eint alle ein Bemühen: Wir wollen die christliche Botschaft nicht nur verstehen, wir wollen sie leben. Wir, das ist das ›Opus Dei‹. Ein Name, bei dem viele zu Unrecht erschrecken. Ich bin der Leiter der römischen Sektion. Wir leben asketisch, zölibatär.«
»Und der Grappa?«
»Sie können Askese nur leben, wenn Sie wissen, worauf Sie verzichten. Ein Glas im Monat genügt, um den Maßstab zu erneuern.«
»Darf ich mir noch einen einschenken? Ich brauche diese Justierung des Maßstabs öfter.«
Ich nahm die Flasche und schenkte mir ein. Monsignore Tanner sah mir dabei zu. Ich hatte das Gefühl, dass er mich um meine Freiheit beneidete.
»Noch etwas, Doktor Hieronymus, muss ich zur Sprache bringen. Zurzeit gibt es auf Erden nur eine Form von Unsterblichkeit: Das ist der Krebs. Doch das Klonen wird dem Menschen die Möglichkeit geben, Leben zu reduplizieren ohne eine monströse Entartung der Zellen. Gegen therapeutisches Klonen lässt sich schon jetzt ethisch nichts wirklich Überzeugendes einwenden. Es dient ausschließlich der Heilung, und Heilung ist ein großes Thema des neuen Testaments. Das reproduktive Klonen ist in Wahrheit ein Spezialfall des therapeutischen Klonens. Ob sie die Leber oder einen ganzen Menschen nachwachsen lassen, ist nur ein gradueller Unterschied. Wissen Sie, dass man in Tumoren alle möglichen Zellarten vorfindet? Haut-, Knochen-, Haar-, Leberzellen, sogar Nervenzellen? Tumore sind sozusagen aus den Fugen geratene Lebewesen. Entsetzliche Chimären. Ich habe gehört, manche sagen, dass jenes schreckliche Monstrum aus Borrominis Kolonnade ein lebendes Krebsgeschwür gewesen sei. Ein Furcht erregender Werwolf, ein Zwitter von Mensch und Wolf. Ich glaube das nicht. Die Menschen sehen etwas in die Dinge hinein, ihre eigene Angst, ihre eigene Bösartigkeit. Man muss die Sache in den Griff bekommen, man muss den Glauben von Vorurteilen reinigen, genauso wie die Wissenschaft von ihrer Naivität. Vielleicht kann man dann die Unsterblichkeit von Krebszellen dereinst mit dem Wunder einer komplexen menschlichen Existenz kombinieren. Übrigens, ist ihnen aufgefallen, dass in jener großartigen Deckenpartie der Sixtinischen Kapelle Gottvater ein kräftiger Wind entgegenweht, der seine Haare und sein Gewand flattern lässt? Er kommt aus der Richtung Adams. Er ist das neue Pneuma. Sie, Piet, könnten zu den Menschen gehören, die dieses Pneuma vertreten, auch wenn Sie nicht an Gott glauben. Wir müssen das Böse in der Welt bekämpfen. Und das Böse ist die Wirklichkeit. Es ist der Sex, die Politik, die Werbung, die Ehe.«
Die ganze letzte Zeit hatte ich das Gefühl, dass er mir noch etwas sagen wollte, das die Ebene unserer Unterhaltung weit überstieg. Jetzt erhob er sich und kam auf mich zu. Er umarmte mich fest
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