Rom kann sehr heiss sein
Gefühle, die ich ihm gegenüber empfinde, mit diesem schlichten und anspruchsvollen Wort zusammenzufassen.«
Tanner nickte. Er wirkte auf mich, als nehme er meine Beichte ab. Gleich würde er von mir verlangen, das Vaterunser dreimal laut aufzusagen.
»Darf ich Sie auf einen tiefen Konflikt hinweisen, der mir in ihrem Fall zu bestehen scheint. Übrigens habe ich diesen Eindruck aus längeren Gesprächen mit meinem Freund Ettore Falsini über Sie gewonnen: Sie wollen sein wie ihr Vater. Und zugleich hassen Sie ihn, ekeln sich vor ihm, verachten ihn womöglich. Sie lehnen etliche Eigenschaften Ihres Herrn Vaters ab, den zu kennen ich übrigens die Ehre habe, seine Geschwätzigkeit, seine kommunikative Vitalität, um es vornehmer zu sagen. Aber wenn Sie ehrlich sind, steckt in dieser Ablehnung ein gutes Stück Enttäuschung darüber, nicht selber so zu sein. Ist es nicht so?«
Ich nickte. Monsignore Tanner schien es zu mögen, in die Rolle des Psychologen zu schlüpfen. Mit seiner ein wenig leiernden Stimme fuhr er fort: »In der Bibel sagt Gottes Sohn einmal zu den Jüngern: ›Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.‹ So steht es im Johannesevangelium, Kapitel vierzehn, Vers sechs. Ein starkes Wort. Man könnte den Eindruck haben, dass sich Jesus selbst Mut zu machen versucht, angesichts der Übermacht des Vaters und der Schwierigkeit, die skeptischen Jünger zu überzeugen. ›Wer mich sieht, der sieht den Vater!‹, ergänzt er. Und dann, zu Philippus, der naiverweise darauf besteht, den Vater selbst zu sehen: ›Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, rede ich nicht von mir selbst. Und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke. Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir; wenn nicht, so glaubt mir doch um der Werke willen!‹ Man spürt förmlich, wie Christus in Erklärungsnot ist. Er zweifelt wahrscheinlich selber. Auch Sie haben lange nichts von der Existenz Ihres Vaters gewusst, wie man mir sagte, lieber Freund. Und als er dann doch aufgetaucht ist, waren sie überglücklich und zugleich enttäuscht.«
Ich nickte. »Sie urteilen sehr scharf, Monsignore. Fahren Sie fort.«
Er schenkte sich Wasser nach. »Die Frage nach dem Verhältnis von Gottvater und dem Gottessohn war von Anfang an strittig unter den Theologen. Die Ostkirche neigte zu den Thesen von Arianus, der mehr von der Wesensähnlichkeit zwischen beiden redete, die Westkirche folgte Athanasius, der Wesensgleichheit behauptete. Die Streitfrage ist bekanntlich erst im Jahre 325 auf dem Konzil zu Nizäa im Sinne von Athanasius entschieden worden. Seitdem heißt es in unserer Kirche ›Der Sohn Gottes ist einziger Herr, geboren aus dem Vater als Eingeborener, das heißt aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins mit dem Vater‹.«
»Monsignore, verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Doktor Falsini empfahl Sie mir als Experten für ethische Fragen des Klonens. Kommen wir nicht zu weit vom Thema ab?«
»Ganz im Gegenteil. Wir nähern uns sogar dem Zentrum. Nach der offiziellen Meinung der Westkirche ist Jesus mit Gottvater fast identisch, mit der Betonung auf ›fast‹. In der Terminologie der Gentechnik könnte man ihn als beinahe perfekten Klon seines Vaters bezeichnen. Im Grunde ist er nie völlig Mensch geworden. Ein ähnliches Problem besteht übrigens in der Beziehung zwischen den ersten Menschen der Schöpfung. Eva ist der Klon Adams, denn sie wurde aus seiner Rippe gemacht. Beider DNA dürfte identisch sein! Die Frau ein Klon aus adulten Körperzellen des Mannes. Das ist natürlich nur ein Spaß. Die Übersetzung mit ›Rippe‹ ist übrigens höchst umstritten. Werden wir wieder ernsthaft, und kommen wir noch einmal auf das Vater-Sohn-Problem zurück. Jesus ist die Menschenliebe schlechthin, die verkörperte Gerechtigkeit, Gottvater ist die verkörperte Wahrheit, er ist ein strafender Gott. Wahrheit und Gerechtigkeit, Strafe und Liebe stehen sich leider im Weg. Sie kommen nicht zusammen, ein ewiges Dilemma der Menschheitsgeschichte. Gottvater ist kein gerechter Vater, er ist nicht immer gnädig, er ist zuweilen gleichgültig. Denken Sie an die tiefste Krise Jesu auf dem Ölberg. Er hängt bereits neun Stunden am Kreuz, es ist finster geworden, Jesus schreit laut ›Eli, Eli, lama asabthani‹, das bedeutet ›Vater, Vater, warum hast du
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