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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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und küsste mich. »Kommen Sie wieder, Piet«, sagte er mit zitternder Stimme. »Besuchen Sie mich, wann immer sie wollen. Es wäre schön, wenn Sie zu uns gehören würden. Und noch eines möchte ich Ihnen sagen: Sie werden sie wieder sehen, das kann ich Ihnen versprechen.«
    Spielte er auf Dale an? Ich wagte nicht nachzufragen. Er brachte mich hinaus. Als die schwere Tür hinter mir zufiel, kam es mir vor, als sei ich aus der tiefsten Tiefe der Unterwelt ans Tageslicht emporgetaucht. Das Leben strömte wie Blut durch die engen Gassen, weiße und rote Blutkörperchen, Männer und Frauen.

11. Dermatitis solaris

    Ich rief Alfredo de Antoniis an und fragte ihn nach einem gebrauchten Motorroller. Er schien sich sehr zu freuen, von mir zu hören. »Ich habe etwas für dich«, sagte er. »Es ist zwar kein Motorroller, aber es hat zwei Räder und fährt wie von selbst. Du darfst nicht erschrecken, wenn du es siehst. Es hat einem Wahnsinnigen gehört, der jetzt leider im Jenseits die Götter verwirrt. Ich verkaufe es dir zu einem Freundschaftspreis.«
    »Ich schicke meinen Freund vorbei«, sagte ich. »Er hat starke Nerven.«
    Es war heiß wie schon lange nicht mehr. Der Himmel war für römische Verhältnisse ungewöhnlich klar, von einem tiefen Azurblau, das diesmal nicht die Abgase der Fahrzeuge einzufärben schienen. Ich hatte nichts vor und gestattete mir einen langen, ziellosen Spaziergang durch kleine, abgelegene Straßen. Meine Gedanken verhielten sich ähnlich: Sie irrten mal dahin, mal dorthin, blieben stehen, um bei belanglosen Erinnerungen zu verweilen, eilten dann wieder voraus in eine Zukunft, die ich mir nicht genau vorzustellen wagte. Aus dieser wohltuenden Geistesabwesenheit riss mich jäh ein Ereignis, das mir im Nachhinein absurd vorkommt, so unerwartet war es, ähnlich dem Reißen eines Films während der Vorführung, wenn plötzlich die Leinwand leer ist und im weißen Licht der Halogenlampe flackert. Ein Auto bremste scharf direkt neben mir, die Tür sprang auf, jemand packte meinen Arm und zog mich in das Wageninnere hinein. Das Ganze geschah so blitzartig, dass ich mich immer noch draußen zu sehen meinte, einen großen, schmalen Mann in einem hellen Leinenanzug, der leicht gebückt voranschritt. Ehe ich an Gegenwehr denken konnte, hatte man meine Hände mit Handschellen gefesselt und mir eine Gummimaske übergestülpt. Meine Knie und Fußgelenke wurden mit Klebeband fixiert, sodass ich wehrlos auf dem Polster schaukelte. Ich versuchte zu schreien, aber die Maske saß so eng, dass nur ein leises Stöhnen hörbar war. Also ergab ich mich in mein Schicksal und versuchte, auf alles zu achten, was mir Anhaltspunkte über die Situation verschaffte. Zweifellos waren es drei Männer, denn ich unterschied ihre Stimmen. Sie sprachen wenig. Es ging dabei wohl um die Route, die das Auto nahm. Ich hatte Angst, aber sie war seltsam unwirklich, eine Angst, die weniger den Pulsschlag verändert als die Sinne schärft, Tierangst von archaischer Qualität. Wenn ich umgebracht werden sollte, dann wäre dies Teil der Nemesis, dachte ich.
    Da ich kein Zeitgefühl hatte, wusste ich auch nicht, wie lange wir unterwegs waren. Plötzlich fuhren wir langsam, dem Motorengeräusch nach im ersten Gang. Dann hielten wir. Man zog mich aus dem Auto und legte mich unsanft auf den Boden. Er fühlte sich hart an und kühl. Von irgendwoher hörte ich die üblichen Hinterhofgeräusche, Radioplärren, Fernseherton, Kindergekreisch, Lachen, Schimpfen, das Klappern von Töpfen und Geschirr.
    Meine Panik steigerte sich. Wollte man mich exekutieren? Dann umgab mich plötzlich blendende Helle. Man hatte mir die Gummimaske abgezogen. Damit ich nicht schreien konnte, klebte man mir etwas über den Mund; vermutlich ein poröser Klebestreifen, durch den ich mühsam atmen konnte. Dann zerfetzten sie mir Jacke und Hemd und rissen sie mir vom Leib. Ich hörte rasche Schritte, das Schlagen von Autotüren. Der Wagen meiner Entführer fuhr mit quietschenden Reifen davon.
    Erst allmählich vertrugen meine Augen das Tageslicht. Ich lag auf dem Rücken und starrte in ein großes, blaues Quadrat. Der Himmel wie ein zwischen hohen Häuserwänden bis zum Zerreißen gespanntes Tuch. Balkone, Fensterhöhlen, Wäsche, das typische Bild eines italienischen Hinterhofes in einer armen Gegend der Stadt. Sonst war niemand zu sehen. Man hatte mich hier allein zurückgelassen.
    Ich lag im Schatten. Die Sonne musste unmittelbar unter einem der Dachfirste stehen,

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