Roman
meiner Erinnerung tauchte plötzlich ein Bild auf. Ginger, Lizzy und ich als Teenager, wie wir uns nachts nach zu viel Alkohol ins Haus geschlichen hatten und mit unseren schwindelerregend hohen Absätzen die Stufen hinaufgestakst waren.
Meine Sturm-und-Drang-Jahre waren vielleicht nicht perfekt gewesen, aber es hatte immer wieder brillante Momente gegeben.
Doch jetzt war keine Zeit für Wehmut. Seit dem Gespräch mit Janice kürzlich hatte sich die Idee mit der Geschichte in meinem Kopf festgesetzt, und ich war zu dem Schluss gekommen, dass es nicht schaden könnte, sie zu verwirklichen. Nun war ich hergekommen, um meine Tagebücher und Notizen zu holen. Ich wusste genau, wo sie waren. Sie lagen in …
Ich öffnete die Tür zu meinem alten Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen.
Irgendwer schien mein Zimmer weggebeamt und in einen Fitnessraum verwandelt zu haben.
»Dein Dad hat das vor ein paar Jahren gemacht.«
Ach du meine Güte! Wo kam denn meine Mutter plötzlich her?
»Hey, Mum«, stieß ich hervor, als ich meine Stimmbänder wieder halbwegs unter Kontrolle hatte. »Ich wusste gar nicht, dass du zu Hause bist.«
»Ich habe ein bisschen geschlafen«, antwortete sie. Jetzt sah ich, dass sie einen cremefarbenen Seidenmorgenmantel trug, unter dem ein karamellfarbenes Spitzennachthemd hervorblitzte. Ihre Nägel waren perfekt lackiert. »Dein Dad und ich gehen heute Abend essen. Ich wollte mich vorher noch etwas ausruhen, damit ich gut aussehe.«
Wieso stellten sich bei dieser Bemerkung die Härchen in meinem Nacken auf? Es war doch schön, dass sie immer noch Wert auf ihr Aussehen legte. Sie war noch immer eine attraktive Frau, stets sorgfältig gekleidet und so schlank wie eh und je. Genau so, wie es mein Dad mochte.
Vielleicht war es das. Vielleicht konnte ich mich einfach nicht damit abfinden, dass sie ihr Leben gänzlich für ihn lebte, sich seinen Wünschen beugte, das tat, was er wollte, glaubte, was er sagte, und davon überzeugt war, dass er alles am besten wusste. Ihm gestattete, dass er sich wie ein verwöhnter, egoistischer Macho gebärdete, der hundert Prozent ihrer Zeit und Aufmerksamkeit forderte und ungeduldig wurde, wenn er sie nicht bekam, selbst wenn der Grund dafür seine eigene Tochter war. Wenn sie einen anderen Mann kennen gelernt hätte, einen anständigen Familienmenschen, wäre ihr Leben sicher so viel reicher geworden.
Sag nichts! Sag nichts! Wir hatten vierzig Jahre ohne einen ernsten Krach hinter uns gebracht; es gab keinen Grund, ihn jetzt vom Zaun zu brechen. Außerdem war sie ja glücklich damit. Sie war noch immer so vernarrt in ihn wie früher.
»Wie war dein Nachsorgetermin?«, fragte sie.
»Gut. Immer noch alles in Ordnung. Ich brauche erst in einem Jahr wieder hin.«
»Gut.«
Eine unangenehme Pause. Das war bei uns manchmal so.
»Ich … eh … suche meine alten Tagebücher. Weißt du, wo sie sind?«
Sie nickte, und ich folgte ihr zu den Wandschränken in der Diele. »Sie sind da drin.« Sie zeigte auf eine große Kiste auf dem obersten Regalbrett. »Wenn du alte Dokumente, Papiere, Bankunterlagen oder so was suchst, findest du sie hier.« Eine weitere Pause. »Oder frag Josie. Sie scheint immer das zu finden, wonach sie sucht.«
Sollte das etwa eine Anspielung sein?
Ich sah sie forschend an. An ihrem Lächeln erkannte ich, dass sie genau wusste, was sie gesagt hatte.
»Du hast es gewusst? Du hast das mit den Sparbüchern die ganze Zeit gewusst?«
»Die Bank hat mir damals einen Brief geschrieben und mich gebeten, für deinen Geschäftskredit zu bürgen.«
Ich hätte nicht sprachloser sein können, wenn in diesem Augenblick Tom Cruise in seinem Fliegeroutfit hereinspaziert wäre.
»Aber warum hast du nie was gesagt?«
»Weil es deinem Vater nicht gefallen hätte und es manchmal besser ist, keine schlafenden Hunde zu wecken.«
Das sagte alles. Nämlich, dass mein Dad jemand war, der seine Unterschrift nie auf ein Blatt Papier gesetzt hätte, um seinem Kind zu helfen. Dass meine Mutter das ganz genau wusste. Dass sie nie gegen seinen Willen handeln würde. Es erstaunte mich völlig, dass sie es bei dieser einen Gelegenheit getan hatte.
»Ja, aber … warum?«
Eine weitere unangenehme Pause, dann seufzte sie tief.
»Ich weiß, dass du meine Beziehung zu deinem Dad nie verstehen wirst, aber sie funktioniert für uns. Das heißt aber nicht, dass ich dich nicht liebe, Lou. Auch wenn ich das vielleicht nie gezeigt habe, ich habe dich immer geliebt.«
»Aber
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