Roman
gebracht.«
David reicht mir das Glas Wasser.
»Danke.« Ich nippe daran. Das Wasser hat diesen typischen, Schon-die-ganze-Nacht-in-der-Leitung-gestanden-Geschmack. »Warum haben Sie mir nicht gleich die Wahrheit gesagt?«
»Sie hätten mir nicht geglaubt. Sie haben ja auch der Fibel nicht geglaubt.«
»Der Fibel?«
»Sie haben die Fibel gerade ›das nette, nützliche Büchlein‹ genannt, wenn ich mich recht erinnere. Die Fibel ist eine Kurzunterweisung, kein umfangreiches Handbuch. Das sollten Sie als Nächstes lesen, jetzt, wo Sie es glauben.«
Ich halte mir das kalte Glas gegen die heiße Wange. »Ziemlich schwierig auf Seiten der Skeptiker zu bleiben nach einer solchen Vorführung …«
He, Moment mal!
Mit einem Schlag erscheint der Tag nicht mehr so heiß. Tatsächlich fühlt es sich eher so an, als kreisten kleine Eiswürfel durch die Adern meines Körpers.
»Sie haben Shane geschickt, um mich zu überzeugen! Das ist doch richtig, oder?« Meine Stimme erreicht schrillere Töne. »Das alles war geplant!«
David hebt die Hände. »Plan B, ja. Aber ich hätte doch nie angenommen, dass er Sie beißt! Offenkundig sind die Dinge …«, er deutet vage in die Richtung meiner Beinwunde, »… aus dem Ruder gelaufen.«
Wut wallt in mir auf. Ich wäre am liebsten aufgesprungen, um ihm eine zu verpassen oder ihn zumindest aus der Wohnung zu schmeißen. Aber die kleinste Bewegung bohrt sich wie eine Messerklinge in mein Bein. Ich sinke wieder zurück in die Kissen.
»Es tut mir wirklich leid.« David vergräbt die Hände in den Taschen seiner Khaki-Hose. Einige unbehagliche Augenblicke verstreichen, während er so dasteht. »Ich sollte mir die Wunde wirklich besser ansehen.«
»Ich rufe den Notarzt.«
»Und wie erklären Sie dem, was passiert ist?«
»Ein Hundebiss.«
»Und was hat ein Hund ausgerechnet an dieser Stelle da zu suchen?«
Mein Kiefer verkrampft sich, während ich über schwierige Fragen, aufgeworfen in einer Kleinstadt wie dieser, sinniere – die Tatsache, dass mir jegliche Form von Krankenversicherung fehlt, will ich da gar nicht erst berücksichtigen.
Ich schlage die Decke zurück und zeige den Verband um meinen Oberschenkel. Mit einer Grimasse ziehe ich das Heftpflaster von meiner Haut und wickle den Verband von der Wunde.
David beugt sich vor und zieht die Luft scharf durch die Zähne ein. »O mein Gott!«
»Sind Sie immer von solch professioneller Umsicht im Umgang bei Ihren Patienten?«
»Ich hatte nur ein paar schmale, spitze Einstiche erwartet. Aber Shane hat die Wunde ja regelrecht gerissen.«
»Er wurde weggeschleudert, als ich ihm gegen den Kopf getreten habe.«
David richtet sich auf und wendet sich rasch ab. Was er soeben zu sehen bekam, hat ihn offenkundig ein wenig verstört. »Ich geh mir die Hände waschen.« Er verlässt das Wohnzimmer, ohne auf eine Antwort zu warten.
Nach einigen Augenblicken ist er mit sauberen Handtüchern, Seife und meiner Rührschüssel, gefüllt mit Wasser, wieder da. Als Erstes zwängt er die Hände, begleitet vom typischen Quietschen, in enge Latexhandschuhe. Erst dann drückt er mir eine Taschenlampe in die Hand, um die Wunde zu beleuchten.
Ich muss es einfach fragen: »Verwandle ich mich jetzt in einen Vampir?«
»Dafür müsste er Sie bis kurz vor Eintritt des Todes aussaugen und Sie dann im Gegenzug von seinem Blut trinken lassen.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, das nicht getan zu haben.«
»Es steht alles in der Fibel.« David kniet sich vors Sofa. »Ich dachte, Sie haben sie gelesen.«
»Ja, schon, aber schließlich hätte es ja vampirtechnisch in den letzten fünfzig Jahren zu neuen Entwicklungen kommen können.«
»Manches ändert sich nie. Halten Sie still, bitte!«
Das Reinigen der Wunde ist schmerzhaft; es tut fast so weh wie der Biss selbst. Es gelingt mir nicht, ein gequältes Wimmern zu unterdrücken.
»Tut mir echt leid«, entschuldigt sich David.
»Sie können nichts dafür. Ich habe eine niedrige Schmerzschwelle. Ich brauche schon beim Friseur eine örtliche Betäubung.«
»Nein, ich meine, dass Shane Sie verletzt hat.«
»Das sagten Sie bereits.«
»Shane und die anderen können außerordentlich überzeugend sein.«
Ich will schon protestieren und sagen, dass es meine Idee war, zu mir zu gehen. Aber da fällt mir ein, dass es Shane gewesen ist, der es als Erster vorgeschlagen hat, noch in dem Spirituosenladen. »Sein Atem ist warm«, sage ich stattdessen, weil mir in den Sinn kommt, wie die Glastür des
Weitere Kostenlose Bücher