Roman
Kühlschranks beschlagen hat, als Shane sich vor eben dieser Tür mit mir unterhielt. »Ich habe immer geglaubt, Vampire hätten keine Körperwärme.«
»Shane ist noch jung, bei ihm gibt es noch Nachwirkungen des menschlichen Lebens. Leben und Untot-Sein sind kein Entweder-Oder, sondern eher Zustände, die fließend ineinander übergehen.«
»Wann wurde Shane denn … na ja, Sie wissen schon …«
»Wann er gestorben ist? Im April 1995. Regina hat ihn verwandelt.«
Ich schnaube. Besondere Beziehung hat Shane es genannt, ja klar!
David lässt den Waschlappen in die Schüssel fallen, tupft die Wunde an meinem Schenkel mit einem weichen, sauberen Handtuch trocken und trägt eine antibiotische Salbe auf. Ich bin so wütend und fühle mich so gedemütigt, dass diese Gefühle jegliche potenzielle Anziehungskraft auslöschen, die David auf mich haben könnte. Für immer.
»Das muss genäht werden«, erklärt er. Verlegenheit ist jetzt mein geringstes Problem.
»Oh nein, nein. Nein! Ich reagiere allergisch auf alles, was spitz ist! Was glauben Sie denn, warum ich Shane gegen den Kopf getreten habe?«
»Sie werden nichts davon merken.« Er befreit eine Spritze aus ihrer sterilen Verpackung und sticht mit der Nadel in eine kleine Glasampulle. »Lidocain.«
Ich würde mich jetzt am liebsten so weit wie möglich verdrücken. Leider sitze ich schon an der Seitenlehne der Couch, und mein Bein schmerzt schlimmer als je zuvor. »Gehört das zur Grundausbildung für Rettungssanitäter?«
»Keine Sorge. Es ist nicht das erste Mal, dass ich hinter meinen Angestellten aufräumen muss.«
Die Angst vor der Spritze lässt mich zumindest wieder klar im Kopf werden. »Auszeit, okay? Sie schulden mir ein paar Antworten!«
»Die ich Ihnen gern in der Zeit gebe, in der das Lidocain anfängt zu wirken.«
Schützend lege ich den Arm über die Augen. »Dann machen Sie schon!«
Die Nadel fährt unter meine Haut. Bis es vorbei ist, beiße ich in die Ecke eines Zierkissens auf dem Sofa.
Erst dann nehme ich den Arm vom Gesicht. David ist gerade dabei, Nadel und Spritze in einer roten Plastikbox für medizinische Abfälle zu versenken, gekennzeichnet mit dem Warnzeichen für Biogefährdung. Dann öffnet er ein chirurgisches Nähset. Der Anblick von so viel spitzem Edelstahl bringt meinen Magen ins Schlingern, als befände ich mich auf einem kenternden Boot.
»Reden Sie mit mir, damit ich mich nicht gleich übergebe!«
»Worüber soll ich denn reden?«
Nicht über Vampire. »Haben Sie diesen ganzen Medizinkram bei der Armee gelernt?«
»Eigentlich habe ich nicht zum Sanitätspersonal gehört, wie es beim Militär definiert ist. Ich habe nur eine Ausbildung zum Helfer im Sanitätsdienst. Dabei geht es um Selbst- und Kameradenhilfe im Gefechtsfall.« David entledigt sich der Handschuhe und streicht sein blaues Polohemd glatt. Er setzt sich auf den Rand eines Sofakissens. »Eigentlich war ich auch nicht in der Armee. Ich war Angehöriger einer paramilitärischen Gruppe namens: Internationale Liga zur Überwachung und Steuerung untoter körperlicher Entitäten. Kurz nur: Die Liga.«
Klar: ILÜSUKE klingt ja auch eher nach einem türkischen Vornamen.
David greift nach einem Skalpell und betrachtet meine Wunde. Etwas bringt ihn dazu, seine Meinung zu ändern – er legt das Skalpell wieder zum restlichen chirurgischen Besteck seiner Erste-Hilfe-Tasche. Das gibt meinem Herz Gelegenheit weiterzuschlagen. »Sie sagten ›Internationale Liga‹. Es handelt sich also nicht um eine Organisation der USA ?«
Abschätzig wedelt David mit der Hand. »Sie ist viel älter als die USA . Es gibt sie schon seit Jahrtausenden, obwohl die Liga lange Zeit nicht Liga hieß. Der ursprüngliche Name stammt aus einer längst ausgestorbenen Sprache und ist unaussprechlich.« David müht sich in ein Paar neue Einmalhandschuhe und beginnt damit, die Folterinstrumente auf einem sauberen Handtuch auszulegen. Soll ich wirklich einem Vampirjäger erlauben, dass er mit einer Nadel in meiner Oberschenkelwunde herumstochert? Ich schaue mich nach dem Telefon um, um herauszufinden, ob es in Reichweite liegt. Nein.
»Na jedenfalls«, fährt David fort, »weiß man in den Führungsstäben nationaler Regierungen von der Liga und koordiniert gegebenenfalls auch Operationen mit ihr – zumindest sofern es denen gelegen kommt.«
»Jagt und tötet die Liga denn Vampire?«
»Ursprünglich ja.«
Mit einem Blick auf meine Wunde greift David wieder nach dem Skalpell. Und
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