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Roman

Roman

Titel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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den Lautsprechern dröhnt, totenstill. Aller Augen starren in dieselbe Richtung. Dass sie starr vor Staunen dastehen, hat seinen Grund: Monroe Jefferson ist, meiner bescheidenen Einschätzung nach, der granatengeilste Mann, der je auf Erden wandelte.
    Ich hatte ihn mir alt vorgestellt, bloß weil er alt ist. Aber er hat das Gesicht und den Körper eines jungen Mannes, auch wenn in seinen Augen der Schmerz fast eines ganzen Jahrhunderts zu lesen ist.
    Dieser verschlagene Blick, den er unter der Krempe seines Filzhutes hinweg aufs Publikum wirft, lässt jeden im Saal erschauern. Monroe trägt einen rein weißen Anzug und Schlips; ein ins Auge springender Gegensatz ist der abgewetzte schwarze Gitarrenkoffer an seiner Seite. Monroe betritt die Bühne, als sei er dort geboren und aufgewachsen.
    Über meine Schulter hinweg sagt David etwas mit gedämpfter, atemloser Stimme: »Ciara, das ist noch nie da gewesen! Sie haben wirklich etwas in Bewegung gesetzt.«
    »Ich habe doch noch nicht mal mit ihm gesprochen.«
    Monroe setzt sich, öffnet den Gitarrenkoffer, während Jim ihm das Mikrofon tiefer stellt.
    »Aber Ihre Idee«, fährt David fort, »holt sie hinaus ans Licht. Monroe hat endlich wieder die Gelegenheit aufzutreten.«
    Ohne die Gitarre zu stimmen oder sich einzuspielen, beginnt Monroe. Seine Finger sind schnell, Monroe voller Selbstvertrauen – ich hätte schwören können, auf der Bühne säße mehr als ein Musiker allein. Er singt die erste Strophe von I’m So Glad . Die uralte Stimme, mit der er das tut, hat so viel Ähnlichkeit mit seinem unschuldigen Jungengesicht wie ein Schmetterling mit einer Raupe. Die Finger der einen Hand fliegen über das Griffbrett, während die anderen die Saiten zupfen, so schnell, dass sie zu verwischen scheinen. Bei der zweiten Strophe steigt Monroes Stimme um eine weitere Oktave mit der Leichtigkeit eines Vogels, der hoch auffliegt in den Himmel.
    Ich greife hinter mich zur Theke, nach dem Handlauf aus Messing. Obwohl ich vollkommen nüchtern bin, schlägt mich die Musik in ihren Bann, als wäre sie ein Drogencocktail.
    Der Song ist kurz. Und während die letzte Note verklingt, beenden alle im Publikum den Atemzug, den sie eigentlich längst hatten tun wollen. Erst danach brandet Applaus auf.
    Monroe tippt an die Krempe seines Hutes. »Wie geht es euch allen denn so heute Abend?« Noch mehr Applaus. »Das ist gut, ja, wirklich gut.« Monroe stimmt seine Gitarre, während er spricht. »Ich heiße Monroe Jefferson. Könnt mich Mississippi Monroe nennen. Da komm ich nämlich her. Aus Natchez, um genau zu sein. Aber ihr könnt auch einfach Monroe sagen, wenn’s euch lieber ist. Ich wurde 1913 geboren.« Er lächelt und streicht sich über das glattrasierte ebenholzfarbene Kinn. »Für mein Alter sehe ich gut aus.« Applaus und Gelächter. Monroes Lächeln verschwindet. »Das ist so, weil ich 1940 jemanden getroffen habe, der mein Leben verändert hat.«
    Ich keuche auf und drehe mich zu David um. »Wird er wirklich seine Geschichte erzählen?«
    David legt den Finger an die Lippen. Am entgegengesetzten Ende der Theke stecken Regina und Noah mit besorgten Gesichtern die Köpfe zusammen.
    »Jede Menge Leute kennen die Geschichte von Robert Johnson. Es heißt, er sei um Mitternacht dem Teufel an einer Kreuzung begegnet und habe ihm seine Seele verkauft, um der König des Blues zu werden. Jeder, der ihn gekannt hat – so wie ich – weiß, dass das nicht wahr ist. Es war Tommy Johnson – und der ist nicht verwandt mit ihm –, der behauptet hat, genau das getan zu haben. Er ist derjenige, der mir die Richtung vorgegeben hat.«
    Einmal gezupft, einmal alle Saiten angeschlagen. »Ich hab da in Kaschemmen gespielt, oh, bestimmt schon zehn Jahre lang. Brachte nicht viel Geld ein, hat für Whiskey und Zigaretten gereicht. Aber es war nie genug für eine Fahrkarte nach Chicago oder New York. Das aber waren die Orte, wo man mit Blues was werden konnte. Ich war gut – ihr alle hier könnt das sofort bestätigen«, sagt Monroe ohne eine Spur falscher Bescheidenheit, »aber nicht gut genug.
    Also ging ich eines Nachts an die Kreuzung – nicht zu der, wo der Highway 61 auf den Highway 49 trifft: Das stimmt nicht. Wo die echte Kreuzung ist, ist ein Geheimnis, und nein, ich erzähle es euch nicht.« Er streicht mit den Fingern über die Saiten, als seien sie das Haar einer Frau auf dem Kissen neben ihm. »Ich bin an einem Dienstag hingegangen, damit ich nicht so lange Schlange stehen

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