Roman
nicht völlig danebenliege, was dich angeht.«
Die Gitarre liegt in Shanes Schoß. Trotzdem wäre es gar nicht so schwer, zu ihm hinüberzukriechen, ihn zu küssen, das Instrument aus dem Weg zu schaffen und mich an ihn zu schmiegen – mit meinem ganzen Körper, jedem einzelnen Zentimeter. Der Blick, den Shane mir zuwirft, verrät mir, dass er mich nicht davon abhalten würde.
»Spiel etwas für die Glühwürmchen!« Mit einer Geste umfasse ich das ganze Weizenfeld. »Etwas, das sie in Stimmung bringt.«
Einen Moment fixiert mich Shane; der Blick ist nachdenklich, prüfend. Vielleicht überlegt er, ob sich hinter meinen Worten eine Anzüglichkeit verbirgt. Dann widmet er sich wieder seiner Gitarre. »Dann wäre Two Hearts von Chris Isaak meines Erachtens das Richtige.«
»Das kenne ich nicht. Aber Chris Isaak? Ist das nicht ein bisschen zu banal für jemanden mit deinem Geschmack?«
»Du bist nicht die Einzige, deren Charakter vielschichtig ist.«
Das Intro des Songs ist langsam, ein melancholisches Lied, das von der mühevollen Suche nach Liebe in dunklen Nächten erzählt. Dann folgt eine Pause, in der Shane mir einen verschmitzten Blick zuwirft. Einen Lidschlag später verändert sich die Melodie grundlegend, wird spritziger und hoffnungsvoller. Jetzt geht es darum, dass die Last des Lebens für jemanden allein nicht auszuhalten ist (Mensch oder Insekt). In den Refrain stimmt Shane mit einer Falsettstimme ein, die mir Bewunderung abnötigt. Mir dämmert langsam, dass er ein verdammt guter Sänger ist.
Ich kann meine Füße nicht mehr stillhalten. Während des kurzen Solos gibt mir Shane mit einer Kopfbewegung zu verstehen, ich sollte es wagen: aufstehen und tanzen. Ich streife meine Schuhe ab und springe auf, unter den nackten Füßen das kühle, weiche Gras. Dann tanzen wir gemeinsam, die Glühwürmchen und ich, spontan, lebendig und verliebt in diese herrliche Sommernacht.
Bei einem Blick über meine Schulter bemerke ich, dass Shane mich beobachtet. Er trifft den nächsten hohen Ton nicht, bricht in Lachen aus, ohne sich dabei zu verspielen und den Rhythmus zu verlieren. Er singt den letzten Refrain noch einmal, als die Gitarre wieder an der richtigen Stelle der Melodie angelangt ist.
Als die letzte Strophe zu Ende ist, applaudiert Shane mir. Ich verbeuge mich mit ihm entgegengestreckten Armen wie eine Primadonna, die dem Dirigenten der Aufführung dankt.
Shane hebt sein Weinglas. »Auf die Glühwürmchen!« Er leert das Glas und stellt es beiseite. »Und jetzt einen Song für die Moskitos!«
Vehement beginnt er Nirvanas Drain you , drischt auf das vorangegangene gefühlsduselige Zeug mit jedem Anschlagen der Saiten ein wie mit einer zusammengerollten Zeitung auf … tja, eine Stechmücke an der Wand. Was seine Stimme an Rauheit und tiefen Kehllauten hergibt, ist jetzt das Einzige, was zählt, um diesen Song über eine Liebe vorzutragen, die aus Leid und Begierde besteht. Ich setze mich auf die Decke, um zuzuhören.
Shane wirkt, als wäre er im Einklang mit sich, jetzt, wo er zu der Musik zurückkehrt, die ihm wirklich am Herzen liegt. Jedes Mal, wenn er die Saiten anschlägt, wippt sein hellbraunes Haar gegen die kantigen Wangen- und Kieferknochen. Ich beobachte, wie seine Finger über das Griffbrett tanzen. Mir wird bei der Vorstellung, sie strichen so über meine Haut, ganz heiß.
Shanes Spiel wechselt von einem tiefen, rhythmischen Zupfen zu einem wilden Anschlagen der Saiten. Während sich Shane zum Crescendo steigert, geht sein Blick prüfend hinaus in die Landschaft, als überlege er, ob er tatsächlich zum Schrei ansetzen solle.
Gerade als ich schon meine, er würde sich drücken, um seine Stimme zu schonen, sprengt ein barbarisches Heulen seine Kehle, das mir ein heißes, elektrisierendes Kribbeln durch den ganzen Körper bis in die Fingerspitzen und in die Zehen jagt. Es ist die einzige körperliche Reaktion, die mir bleibt, statt davonzulaufen oder mir die Kleider vom Leib zu reißen.
Shane gleitet danach hinüber in die dritte und vierte Strophe, die die Wiederholung der ersten und zweiten sind. Er stößt die Worte hervor, als seien sie seine ganz persönliche Hymne. Seine Stimme und sein Gitarrenspiel besitzen gemeinsam eine Kraft und einen Druck, sie könnten das Laub von den Bäumen fegen.
Die Schwüle der Nacht saugt den letzten Akkord auf. Shane wirft mir unter einem Vorhang aus verworrenen Haarsträhnen einen Blick zu, wild wie der eines Raubtiers. Zum ersten Mal an diesem
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