Roman
hinzuschauen. »Er und die anderen alten Knacker leben draußen am Arsch der Welt, wo niemand sie konfus machen kann.«
»Konfus?«
»Wenn wir alt werden, werden wir wunderlich und drehen leicht durch«, erklärt mir Jim. »Gideon unterhält so eine Art Refugium, einen Zufluchtsort für alte Vampire.«
»Wie alt kann ein Vampir denn werden?«
Dieses Mal ist es Noah, der mir antwortet. »Die meisten leben noch so um die achtzig Jahre, nachdem sie zu Vampiren wurden.« Er sorgt dafür, dass sein Stapel Chips schön gerade steht. »Aber mit ’nem bisschen Glück sind Jahrhunderte drin.«
Regina setzt hinzu: »Ich habe mal gehört, drüben in Colonial Williamsburg gibt’s ein paar, die zweihundertfünfzig Jahre alt sein sollen.«
»Das ist ein Märchen, nichts weiter«, sagt Spencer und deutet auf die Karten. »Lasst uns endlich anfangen, ja?«
Beim Austeilen der Karten werde auch ich bedacht. Im Laufe des Spiels rinnen mir die Chips wie Sand durch die Finger. Wir reden nicht viel, auch zwischen den einzelnen Runden nicht. Wir alle achten auf Geräusche, falls jemand von draußen versucht einzudringen. Um mich abzulenken, konzentriere ich mich auf die charakteristische Spielweise jedes Vampirs.
Noah ist so vorsichtig wie die sprichwörtliche Mutter der Porzellankiste. Jim hingegen tendiert zum anderen Extrem. Er setzt viel und impulsiv. Ich komme zu dem Schluss, dass seine Hippie-Attitüde bloß eine Fassade ist. Hinter dem ganzen Gerede von Friedfertigkeit, Liebe und heiterer Glückseligkeit versteckt sich ein wildes Tier. Von den fünf Vampiren des Senders ist er wahrscheinlich derjenige, auf dessen Konto die meisten Leichen gehen. Die Tatsache, dass ich diesbezüglich auf reine Spekulationen angewiesen bin, sorgt vor allem für eines: heftige Gänsehaut.
Regina kalkuliert die Wahrscheinlichkeit der Kartenkombinationen mit der Geschwindigkeit eines Hochleistungscomputers. Spencer wiederum besitzt eine natürliche Begabung fürs Pokerspiel. Hin und wieder reicht seine Intuition ans Übermenschliche heran. Jedes Mal erwischt er mich damit kalt. Manchmal wird sein Blick beunruhigend leer, wie bei einem Roboter, den man von jetzt auf gleich abgeschaltet hat. Vielleicht hat er ja in diesen Augenblicken Zugriff auf eine Art von kollektivem Pokerspieler-Unterbewusstsein.
Nach einer vollen Stunde, in der wir unbehelligt geblieben sind, verschwindet Regina im Apartment der Vampire und kommt kurz darauf mit drei Dosen Bier zurück. Eine davon reicht sie Spencer, eine hält sie mir hin.
»Wenn du eine derart erfolgreiche Trickbetrügerin bist«, sagt sie, »wie kommt es, dass du so arm wie eine Kirchenmaus bist? Hast du das ganze ergaunerte Geld für einen sorgenfreien Lebensabend in der Schweiz gebunkert?«
»Niemand verschiebt sein Geld noch in die Schweiz – viel zu viele Reglements.« Ich versuche, die Karten zu mischen und stelle mich ziemlich ungeschickt an. »Wenn man sein Geld unbedingt nach Übersee schaffen will, ist heutzutage Neuseeland angesagt.«
»Und – hast du dein Geld da?«, fragt Jim.
»Welches Geld? Ich bin doch nur eine Schmalspur-Ganovin. Was ich einstreiche, benutze ich nur dazu, meine Studiendarlehen zurückzuzahlen.« Ich lege das gemischte Deck vor Regina auf den Tisch, damit sie abheben kann. »Auf Schulden reagiere ich allergisch.«
»Klug«, meint Noah. »Schulden sind ’ne Art Sklaverei.«
»Schulden sind Verbindlichkeiten.« Regina klopft auf das Deck: eine lässige Geste des Vertrauens. »Betrüger wie Ciara hier mögen eben keine Verbindlichkeiten, egal welcher Art. Nicht wahr, Ciara?«
Anstatt ihr zu antworten, teile ich die Karten zu einer Runde Five-Card-Stud aus. Das verhindert gemäß Spencers Regeln erst einmal jedes Gespräch. Die Karten fühlen sich glatt und fest an. Ich wette, meine Poker-Vampire benutzen jede Nacht ein neues Deck.
Nach der Hand schneide ich rasch ein anderes Thema an. »Wie weit seid ihr denn mit euren Podcasts?« Als Reaktion auf die verständnislosen Blicke erläutere ich: »Das sind die fünfzehnminütigen Mitschnitte, die ich von eurem Gestammel machen werde, damit die Hörer sie sich auf ihre Computer runterladen und egal wo und wann anhören können.«
Regina fängt sich als Erste. »Ich dachte mir, ich rede über die Sonntagsmatinees im CBGB , über die Hardcore-Szene und die Straßenschlachten mit den Scheiß-Bullen.«
»Ich mach ein Quiz zur Rock-Kultur«, verkündet Jim. Alle anderen verdrehen die Augen.
»Klar, was ’n sonst«,
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