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Roman

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Titel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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Zimmerdecke.
    Regina blickt zur Treppe hinüber. »Draußen ist’s jetzt hell. Da bist du auf der sicheren Seite und kannst verschwinden.«
    Klingt wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. »Ich habe noch was für den Job zu erledigen. Schätze, ich geh also besser rauf und setze mich an meinen Schreibtisch.«
    Sie verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Sei vorsichtig.«
    »Das bin ich.« Ich weiß ganz genau, dass sie sich nicht um mich sorgt, wenn sie das sagt. Ich lege einen Fuß auf den nächsten freien Stuhl und nehme einen Schluck Bier. Das Bier will mir angesichts der Tatsache, dass es fast sechs Uhr morgens ist, nicht recht schmecken.
    Schließlich seufzt Regina, stößt ihren Stuhl zurück und erhebt sich. Schon bald schlüpft sie durch die Tür hinaus in den Flur.
    Während Reginas Schritte verhallen, gehe ich zur Tür und spähe um die Ecke hinein ins Studio. Shane sitzt vor dem Mischpult und geht völlig in den rasanten Metal-Riffs auf, während er alles vorbereitet, damit nach seiner Sendung eine Stunde lang ein vorproduziertes Programm durchläuft. Er blickt in die andere Richtung. Daher bemerkt er nicht, dass ich ihn beobachte.
    Ich ziehe mich zurück und schließe die Tür. Mein Ziel ist jetzt die Treppe.
    Seltsam. Kaum habe ich mich vergewissert, dass Shane mir nie wehtun würde, habe ich plötzlich eine viel größere, wesentlich realistischere Sorge.
    Ich könnte ihm wehtun.

17
    Waiting for the Miracle
    »Wir fangen mit den Bands an, die du gemocht hast, als du noch am Leben warst.«
    Für den letzten Teil des Satzes dämpfe ich meine Stimme. Wahrscheinlich ist das eine unnötige Vorsichtsmaßnahme angesichts der Lautstärke, mit der die neue Nine Inch Nails aus dem Lautsprecher des Musikladens dröhnt. Die hiesige Filiale von Record & Tape Traders veranstaltet wieder einmal einen Nachtschwärmer-Sale, was mir Gelegenheit gibt, Shane hierher für eine Lektion nach Sonnenuntergang mitzunehmen.
    Sein Blick wandert über die TShirts und Poster, die die Wände des Ladens zieren. Sein Blick gilt jedenfalls nicht den CD s im Verkaufsregal gleich vor uns. Die wichtigsten Bands stehen dort selbstverständlich streng alphabetisch sortiert. Aber was an diversen anderen übrig bleibt, steht unsortiert jeweils am Anfang des betreffenden Buchstabens.
    Ich ziehe Shane hinüber zum Buchstaben G. »Du erinnerst dich doch noch an Green Day, oder?« Ich ziehe Green Days erstes Major-Release-Album heraus, Dookie , das zugleich ihr drittes Album war. Ich fühle mich wie eine Mathe-Lehrerin im Förderunterricht, die eine Beispieltafel zeigt.
    »Das gehört zu meinen Lieblingsalben. 1994.« Shane nimmt die CD und streicht andächtig und liebevoll über die Hartplastik-Hülle, als handele es sich um eine wertvolle Ming-Vase.
    »2000 haben sie Warning herausgebracht. Es war ein Kritikeralbum, wurde hochgelobt. Obwohl manche Fans meinten, dass das kein echter Punk mehr sei. Aber jeder muss mal erwachsen werden, oder etwa nicht? Außer dir, selbstverständlich.«
    Die Bemerkung bringt Shane dazu, zu lächeln, genau wie ich es mir gedacht habe. Jung und düster zu sein ist wahrscheinlich das Einzige, was Shane am Vampir-Dasein mag. Aber er greift nicht nach dem Album.
    »Doch richtig groß«, fahre ich fort, »war American Idiot , das sie im September 2004 veröffentlicht haben.« Ich blättere mich bis zu dem Album durch und halte es Shane hin. Das Cover zeigt eine Hand, Weiß auf Schwarz, die eine rote Handgranate in Form eines blutenden Herzens hält. »Es gehört zu den wichtigsten Alben der Jahrtausendwende.«
    Shane zögert, nimmt die CD dann aber doch. »Warum?«
    »Vor allem, weil es musikalisch einfach endgeil ist. Es ist eine Rockoper.«
    »Hm.« Shane dreht die Hülle um und fährt mit dem Daumen übers Plastik – so vorsichtig, als könnten Milzbranderreger darauf verteilt sein.
    »Aber das Album hat nicht nur musikalisch gesehen Einfluss gehabt. Es ist kurz vor den Wahlen auf den Markt gekommen. Green Day war Teil einer Bewegung der Musikszene, die junge Leute dazu bringen wollte, wählen zu gehen. Und es hat funktioniert. Am Wahltag haben College-Studenten vor den Wahllokalen Schlange gestanden. An deinem alten College haben manche sogar acht Stunden im Regen ausgeharrt.«
    Shane hat immer noch den leeren Blick, den er etwa in der Mitte meiner kleinen Rede bekam. »Ist Bill Clinton immer noch Präsident?«
    Ich kann ihn nur stumm anstarren. Dass er so verknöchert sein soll,

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