Roman
der hohen Lehne, klammere mich an meine Reisetasche und lächele ihn schwach an. Dann hole ich mein Handy aus der Tasche und kontrolliere es erneut – aber nichts: keine SMS , kein entgangener Anruf. Und so sitze ich da und mache es aus und wieder an, für den Fall, dass etwas damit nicht stimmt, aber das Einzige, mit dem etwas nicht stimmt, ist mein Kopf. Was zum Teufel tue ich hier?
»Alles in Ordnung, Madame Steele?«, fragt Antoine schließlich, nachdem ich ihn zum hundertsten Mal gequält angelächelt habe.
»Ja, alles okay«, lüge ich, aber das Risiko, in Tränen auszubrechen, wird mit jeder Sekunde größer. Noch ein mitleidiges Lächeln von einem schwulen französischen Concierge, und ich werde zusammenbrechen und heulen wie ein Schlosshund.
Heute, am Mittwoch, ist der »Buchclub« (was auch immer das jetzt noch bedeutet), und ich sitze jetzt schon seit zwanzig Minuten hier im Foyer des Malmaison Hotels und warte auf Toby.
Ein Teil von mir – der mit dem Titel »Das Richtige tun«, ganz zu schweigen von dem Untertitel »Selbstschutz« – hat gestern Abend nach dem Treffen mit Martin beschlossen, dass ich heute nicht komme, dass ich einfach nicht auftauche. Aber hier bin ich, hier sitze ich, verdammt noch mal, und klebe an dem Sofa, obwohl jedes logische Molekül in mir schreit: »Geh. Geh jetzt! Heb deinen Hintern von diesem Sofa hoch, und geh zur Tür hinaus!«
Er wird nicht kommen, ich weiß es. Aber ich kann mich trotzdem nicht bewegen. Die Liebe hat ihre eigenen Gesetze. Warum habe ich das nie begriffen? Sie interessiert sich einen Scheiß für Regeln, Logik und dafür, was das Richtige ist. Herrje, ich bin nicht besser als ein Drogenabhängiger, der für den nächsten Schuss seine eigene Mutter ausraubt.
»Sie warten auf Monsieur Steele?«, fragt Antoine plötzlich.
Und er ist nicht mal hier. Ich fühle mich richtig scheiße. Und wofür?
»Wie haben Sie das erraten?«, erwidere ich mit einem schwachen Lächeln.
Ich würde unsere Affäre auf jeden Fall beenden, das stand völlig außer Frage. Ich wollte es nur persönlich tun, in Fleisch und Blut. Okay, das ist Quatsch, ich wollte sein Fleisch nur noch einmal berühren.
Aber er kommt nicht, und während die Minuten verstreichen und Antoines mitleidige Blicke intensiver werden, komme ich mir mit meiner Reisetasche auf dem Schoß immer idiotischer vor.
Bei jedem der drei ins Malmaison verlegten Buchclub-Treffen war die Zufriedenheit gesunken; mit jeder neuen zerstörten Hoffnung gab ich mir weniger Mühe. Das erste Mal, als wir hier waren, hatte ich noch drei verschiedene Dessous-Kombinationen dabei – hübsch, nuttig und sportlich, als würde ich an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen –, vier Paar Schuhe (glaubte ich wirklich, ich würde während der Nacht Gelegenheit haben, sie zu tragen?) und all die Mundhygieneprodukte, derer ich habhaft werden konnte, inklusive der Probepackung Minty-Me-Atemerfrischer. Das fand Toby ein bisschen schade, weil ich dadurch Arbeit und Freizeit miteinander vermischte, aber ich erklärte ihm, dass es nicht dasselbe war, wie wenn ich ein Glas Mango-Chutney mitbringen würde, wenn ich zum Beispiel Patak-Gewürze als Kunden hätte.
Ich denke an uns während dieses ersten »verlegten« Buchclubs hier im Malmaison und daran, wie ganz anders da noch alles war: wie wir Hand in Hand, seine trocken und warm, im Fahrstuhl gestanden und über Antoines absurd starken französischen Akzent gelacht haben.
Antoine sieht offenbar, dass mir Tränen in die Augen steigen, denn er steht auf und kommt mit diesem absurden schwulen Gang auf mich zu. Es ist, als wäre Antoine eine dieser Karikaturen, die Toby von sich in Brighton hat zeichnen lassen, aber eine sich bewegende, sprechende, echte Version.
Er setzt sich neben mich und rückt verschwörerisch näher.
»Geht es Ihnen gut?«
»Könnte nicht besser gehen«, lüge ich und denke: Erde, tu dich auf, und verschluck mich. Es ist offensichtlich, was hier passiert. Und es ist so peinlich!
»Er kommt nicht?«, fragt er und sieht mich aus seinen von langen schwarzen Puppenwimpern umrahmten Augen an.
»Nein«, gestehe ich und blicke zu Boden. »Sieht jedenfalls nicht so aus.«
Antoine nickt langsam, dann atmet er dramatisch durch seine lange Pferdenase ein.
» Ecoute «, sagt er und berührt meinen Arm. »Ich ’offe, Sie ’alten mich nicht für aufdringlich. Ich erlaube mir kein Urteil über die Art, wie Leute ihre privaten Bezie’ungen in den Wänden dieses ’otels
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