Roman
ausleben – Gott weiß, ich war selbst schon viel in London unterwegs.«
Ein nervöses Kichern entfleucht mir, dann drohen mir wieder die Tränen zu kommen.
»Aber ich ’abe viel Erfahrung mit Männern«, fährt er fort und senkt seine Stimme. »Wahrscheinlich mehr als Sie …«
»Oh, definitiv mehr als ich.«
»Und man entwickelt einen sechsten Sinn für diese Dinge. Mehr will ich gar nicht sagen«, erklärt er und berührt meinen Arm. »Und ich bin nicht sicher, dass Monsieur Steele – er ist nicht Monsieur Steele, oder?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, er ist nicht Monsieur Steele.«
»Ich bin nicht sicher, ob er – wie sagt ihr Engländer noch? – in…«
»Integer?«
»Ja«, sagt er. »Ob er das ist.«
In diesem Moment ertönt das Piepen, das eine neue SMS ankündigt, und ich springe fast vom Sofa. Ich sehe Antoine an, der mir das Knie tätschelt und wieder zurück zur Rezeption geht.
Ich drücke auf »Lesen«.
Bitte lass es Toby sein. Lass es Toby sein, der sich dafür entschuldigt, dass er mich hat warten lassen, aber er steckt in der U-Bahn fest, jemand hat sich auf die Gleise geworfen, und er kommt gleich.
Aber das steht da nicht. Sondern nur sieben Wörter. Ich weiß es, weil ich sie wieder und wieder lese.
Schaffe es nicht, sorry. Was dazwischengekommen. X
Brighton ist jetzt vier Tage her, und heute war mein erster Tag im Büro. Mir war nicht aufgefallen, dass etwas anders war als sonst. Ich fühlte mich nach dem »Ich liebe dich« bestärkt darin, dass alles in Ordnung war. Es war zu viel passiert, als dass ich noch paranoid sein musste. Obwohl er die Frage nicht beantwortet hatte, ob er Rachel noch liebte, hoffte ich, dass ich nichts zu befürchten hätte. Offensichtlich lag ich da völlig falsch.
Mit Tränen in den Augen schaue ich noch einmal rüber zu Antoine, aber er redet gerade mit einem Gast. Also stehe ich leise auf, stecke das Handy wieder ein und gehe.
Es ist immer noch helllichter Tag, die Luft ist warm und süß, überall brummen Mopeds, die Stadt ist so lebendig – und ich stehe hier und habe heute Abend nichts zu tun. Eine Sekunde lang stehe ich da und denke darüber nach, was ich jetzt tun soll, dann, ohne darüber nachzudenken, drücke ich auf »Anrufen«. Zur Hölle damit, ich habe meine Würde schon verloren, was habe ich also noch zu befürchten? Ich kann nicht glauben, dass er glaubt, er könnte mir einfach so eine SMS schicken und damit durchkommen. Ich meine, »was dazwischengekommen«? Das ist so lahm. Was kann ihm denn in letzter Minute dazwischengekommen sein, dass er nicht mal persönlich mit mir sprechen kann? Zum Glück gehe ich im Kopf die Möglichkeiten durch, während sein Handy klingelt: Rachel hat herausgefunden, dass er sich mit einer anderen trifft, und er hat beschlossen, dass er mich nicht mehr sehen will. Ich stelle fest, dass diese Gedanken weder gesund noch hilfreich sind. Er nimmt nicht ab, also gebe ich es auf.
Ich gehe auf die Blackfriars Bridge zu, die schönste Brücke Londons, wenn man mich fragt. Die Lichter an der Southbank blinken, und mein Koffer stolpert hinter mir her über den Asphalt – wie ein Kind, das von einem Fest nach Hause gezerrt wird, dessen Datum seine Mutter falsch aufgeschrieben hat.
26
Es ist Montag – fünf Tage nachdem Toby mich im Malmaison sitzen gelassen hat – und der Abend vor der jährlichen Verleihung der Product Sales Awards. Ich bin nominiert als »Verkäufer des Jahres« im Bereich Gesundheits- und Schönheitsprodukte – irre, was? Janine hat mich dafür vorgeschlagen, was von der Eisernen Lady in hautengen Stoffhosen ein wirklich großes Kompliment ist. Vor ein paar Wochen war ich auch noch wirklich aufgeregt deswegen, aber die jüngsten Ereignisse haben dem Ganzen einen Dämpfer verpasst. Zum ersten Mal in meinem Leben macht die Arbeit mich nicht glücklich. Ein potenzieller Preis für den Verkauf von Munderfrischern scheint mir einfach nicht mehr so spannend zu sein.
Die Gedanken an Toby verbrauchen meine gesamte Energie. Es ist lächerlich, eine Krankheit, eine Art Zwangsstörung. An ihn denke ich zuerst, wenn ich aufwache, und ihm gilt mein letzter Gedanke, bevor ich einschlafe. Wenn ich mir die Haare föhne, denke ich an ihn, wenn ich mit jemandem am Telefon über Zahnseide spreche, denke ich an ihn. Wenn ich eine Tortengrafik für eine PowerPoint-Präsentation erstellen muss, teile ich die Situation mit ihm in Prozente ein: sechzig Prozent Chancen, dass er mich noch liebt, zwei Prozent
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