Roman
objektive Studie der Verdrängung« und ist von Jergen Rindblatten. Lexi hatte das Gesicht verzogen, als ich ihr aus dem Faltblatt vorlas. »Klingt nach totalem Schwachsinn«, meinte sie angewidert über diese merkwürdige Art, mit Worten umzugehen. »Aber wir können hingehen, wenn du willst.«
Ich recke den Hals, um den Mann richtig erkennen zu können, der schlaksig ist, eine Strickjacke trägt und aussieht wie ungefähr zwölf.
»Zu kleine Nase.«
»Was?« Lexi runzelt die Stirn. »Wie meinst du das, zu kleine Nase?«
Die Frau mit der grünen Baskenmütze dreht sich erneut um und spitzt ihre dünnen roten Lippen, während sie uns anstarrt. Dann hört Barnaby Speck zum Glück auf zu reden und ermuntert uns, herumzugehen und uns die begleitenden Zeichnungen anzusehen, die Jergen Rindblatten zum Thema »Andersartigkeit« angefertigt hat und die an der Wand der sonnendurchfluteten Galerie hängen.
»Ich kann nicht mit einer kleinen Nase zusammen sein; sie sieht aus wie die einer Puppe, und dann wirkt meine noch größer.« Wir stehen bewundernd vor einem Bild mit dem Titel »Ohne Titel«. »Außerdem ist er ungefähr in deinem Alter.«
Lexi seufzt und blickt sich um. Ich betrachte das Bild, das für mich wie ein Quadrat aussieht, aber ich bin sicher, dass dahinter noch eine viel tiefere Bedeutung steckt, wenn man weiß, wie man so etwas interpretieren muss.
Plötzlich schnappt Lexi nach Luft.
»Ohmeingott!« Sie stößt mich mit dem Ellenbogen an. »Ich glaube, ich habe gerade meinen zukünftigen Mann gesehen.«
Ich blicke mich zu der Stelle um, auf die sie zeigt, und sehe einen schlanken Schwarzen – den Riemen einer schwarzen Tasche über der breiten Brust –, der sich interessiert das Bild neben uns ansieht.
»Guter Gott, nein, er trägt ein Goldkettchen.«
»Ja? Und? Er ist süß! Den nehme ich. Er sieht aus wie Dizzee Rascal.«
»Wer zum Teufel ist Dizzy Rasta?«
»Du weißt schon«, sagt Lexi. » Bonkers !«
»Bonkers?«
»Der Song Bonkers .«
Ich verdrehe die Augen. Welcher halbwegs normale Mensch würde allen Ernstes einen Song mit dem bescheuerten Titel Bonkers rausbringen?
Dann fängt sie an zu singen: »Some people think I’m bonkers, some people think I’m mad. Some people think I’m crazy, but there’s nothin’ crazy ’bout …«
»Lexi!« Ich packe ihren herumschwenkenden Arm. Den tätowierten Arm. »Konzentrier dich einfach auf die Kunst, okay?«
Wir gehen durch die Galerie, die ganz oben am Ende einer Wendeltreppe in einem hohen, alten Pumpenhaus mitten im Battersea Park liegt. Draußen können wir Schwäne über einen See gleiten sehen, der in der heißen Nachmittagssonne glitzert, und ein junges Paar, das Arm in Arm auf einer Holzbrücke steht.
Ich wende meine Aufmerksamkeit einem weiteren Bild zu, auf dem etwas zu sehen ist, das wie ein Kuhfladen aussieht.
Lexi stellt sich neben mich, legt den Kopf zur Seite und tut so, als würde sie den begleitenden Kommentar lesen.
»Noch ein heißer Kandidat«, zischt sie mir plötzlich ins Ohr. »Auf zehn nach zwei. Der ideale Mann für dich.«
»Tut mir leid«, murmelt Lexi. Wir gehen jetzt durch den Park in Richtung Fluss. »Das war einfach nicht mein Ding. Als du ›Kunst‹ sagtest, dachte ich, du meinst richtige Kunst, so was wie Gemälde oder Skulpturen, etwas, wo sie Farbe auf Leinwand klatschen, und es bedeutet ›Glück‹ oder ›Tod‹ oder so was.«
Der eine Teil von mir will protestieren. Ein Teil von mir denkt: Das hier war Kunst, richtige konzeptionelle Kunst, wenn du es genau wissen willst – keine verdammten Seerosenbilder von Monet. Das hier kriegt man in Doncaster nicht zu sehen! Ehrlich, da versucht man sein Bestes, um jemandem die echte Londoner Kultur zu zeigen, und das ist der Dank. Ich bin nicht sicher, ob Lex und ich je über irgendetwas einer Meinung sein werden. Allerdings muss ich gestehen, dass der andere Teil von mir ihr irgendwie zustimmt. »Andersartigkeit. Das andere. Eine objektive Studie der Verdrängung« war auch nicht das, was ich mir erhofft hatte, und tatsächlich frage ich mich, ob ich, wenn ich eine Gabel nehmen und ein bisschen damit herumstochern und dann darüber schreiben würde, dass das die häusliche Unruhe repräsentiert, die ich als Kind erfahren habe, nicht auch eine berühmte Künstlerin mit einer »bahnbrechenden« Ausstellung in der Pump House Gallery sein könnte.
Außerdem, denke ich bei mir, während wir durch den Park laufen und Rounders-Teams und Männern in
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