Roman
am Kühlschrank hängt.
»Woher weiß er das so genau?«, fragte ich und dachte: Redet wirklich jemand so? Und außerdem: Seit wann durfte sich ein völlig Fremder ein Urteil über mein Gefühlsleben bilden?
»Er meint, du gehst damit deinen Problemen aus dem Weg.«
»Oh, richtig. Ich verstehe. Und was sind laut Wayne meine echten Probleme?«
»Weiß nicht, das Leben, schätze ich. Darauf ist er nicht wirklich eingegangen.«
Ich verdrehte die Augen.
»Das liegt vielleicht daran, dass Wayne – der bestimmt nett ist, aber der seinen Lebensunterhalt in einem Trödelladen verdient, das wollen wir nicht vergessen – nicht weiß, wovon er redet.«
In Wahrheit ist es mir ziemlich egal, was Wayne sagt, solange Lexi gerne bei ihm arbeitet und er ihr ein bisschen Halt gibt. Ich mache mir immer noch Sorgen um sie. Sie will nicht mit mir reden, nicht wirklich. Wir haben ein bisschen darüber gesprochen, dass sie die Schule hasst, sehr viel über ihre Freundin Carly und deren katastrophales Liebesleben, aber nicht über sie. Ein oder zweimal, spätabends, habe ich sie leise und angespannt telefonieren hören, und ich glaube, ich habe endlich herausgefunden, worum es bei diesen Gesprächen geht.
Als wir uns vor ein paar Tagen abends How to Look Good Naked ansahen, verkündete sie plötzlich: »Carly glaubt, dass sie schwanger ist.«
»Du machst Witze«, entgegnete ich, ein Auge auf den Fernseher gerichtet. »Was will sie jetzt machen?«
»Weiß nicht«, antwortete Lexi. »Sie hat noch keinen Test gemacht.«
»Was? Wenn ich glauben würde, dass ich schwanger bin, dann könnte ich auf gar keinen Fall rumsitzen und abwarten. Ich müsste es wissen.«
»Wirklich?«
»Definitiv. Und außerdem dachte ich, ihr Freund hätte sie verlassen?«
»Hat er auch, deshalb ist das ja so ein Albtraum.«
Es folgte eine lange Pause. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den Teil zu sehen, wo sie die Leute zwingen, nackt zum Altar und in das Kaufhaus zu gehen, um wirklich zuzuhören.
Dann sagte sie: »Jedenfalls denkt Carly, dass sie das Kind nicht behalten will, wenn sie schwanger sein sollte.«
»Oh. Okay.«
»Bis wann kann man eigentlich noch eine Abtreibung machen lassen?«, fügte sie nach einer langen Pause hinzu.
»Weiß nicht? Zwanzigste Woche? Aber da ist ja auch noch das Problem, dass manche Frauen ein Kind kriegen, ohne vorher gemerkt zu haben, dass sie schwanger sind. Vor allem Teenager, deren Körper sich gar nicht so sehr verändern.«
»Was? Dann denkt man, man ist fett geworden, und eigentlich ist man im achten Monat schwanger?«
»Ja, schätze schon.«
Dann sahen wir uns das Big-Brother -Prominentenspecial an, und das war’s dann.
Da Martin seinen »wichtigen Termin« hat und Shona zu Hause bleiben muss, weil die Waschmaschine geliefert wird, sind es schließlich nur Lexi und ich, die in der schlichten Pump House Gallery im Battersea Park stehen und auf ein Quadrat aus Erde starren.
»Und indem er das Gras beim Wachsen filmt …«
Der Kurator, Barnaby Speck (ich lese das Faltblatt immer von Anfang bis Ende), ist ein kahlköpfiger Mann mit dicken Lippen, der ein bisschen hüpft bei Worten, die er aufregend findet – wie zum Beispiel »Wachsen«.
»… sagt Rindblatten etwas aus über die geheimnisvolle, unsichtbare Natur der Zeit. Zeit, die wir nicht selbst erfahren, Zeit des …« Er hüpft bei diesem Wort so hoch, dass ich sehen kann, wie seine roten Socken seine Schuhe verlassen. »… anderen der Andersartigkeit.«
»Hä?« Neben mir rümpft Lexi ihre kleine Nase. »Wir reden doch hier über ein Stück Rasen, richtig?« Ich stoße sie an, worauf sie mit einem komödiantischen leisen Röcheln reagiert. Eine Frau mit einer grünen Baskenmütze dreht sich zu uns um und schnaubt missbilligend.
»Kurz gesagt …« Barnaby Speck räuspert sich in unsere Richtung. »… durch das Beobachten des wachsenden Grases zwingt Rindblatten uns, anzuerkennen, dass Dinge an Orten passieren, die wir nicht sehen können. Dadurch drückt er wunderschön aus …«
Ich spüre plötzlich Lexis warmen, minzigen Atem an meinem Ohr. »Was ist mit dem da?«
Ich werfe ihr einen Seitenblick zu.
»Mit wem?«
»Mit dem großen mit den dunklen Haaren und der Brille.« Sie zeigt auf einen Mann ganz vorn in der Menge, der die Installation konzentriert anstarrt – eigentlich nur ein Quadrat mit Erde, das so groß ist wie eine Serviette und umgeben von vier Kameralichtern. Sie trägt den Titel »Andersartigkeit. Das andere. Eine
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