Roman
verwickelt war.«
»Was für schlimmere Sachen?«, fragt Dad, jetzt besorgt. Er hält viel von Martin und weiß, dass er kein dummes Zeug erzählt.
»Einfach … keine besonders netten Sachen.«
»Gut, bleib, wo du bist«, fordert Dad. »Ich komme. Wir werden sie finden, okay?«
Es ist gut, dass Dad beschlossen hat, nach London zu kommen, denn nur eine halbe Stunde später verschärft sich die Lage noch. Es regnet in Strömen, als das Telefon klingelt. Es ist Lexi. Sie ruft aus einer Telefonzelle an und klingt völlig aufgelöst.
»Carolinedumusstsofortkommen.«
Ihr Schluchzen ist so schlimm und der Regen so laut, dass ich kaum etwas von dem, was sie sagt, verstehe.
»Lexi? Bist du das?«
»Ja. Ich bin in der Polizeiwache in Brixton. Clark wurde verhaftet.«
»Verhaftet? Weswegen?«
»Wegen etwas Furchtbarem, Caroline. Etwas ganz Furchtbarem.«
Entsetzen läuft wie Teer durch meine Adern.
Während ich also nichts von der Welt mitbekommen habe und nur mit meinen eigenen kleinen Dramen beschäftigt war, hat ein gesuchter Verbrecher meine kleine Schwester mit in eine Drogenhölle in Brixton genommen, wie sich jetzt herausstellt. Als ich ankomme, sitzt sie in ihre Jacke gekauert im Empfangsbereich der Polizeiwache, und ihre Haut sieht fast durchscheinend aus, so blass ist sie in dem harten Neonlicht.
»Ich dachte wirklich, dass er mich liebt, aber ich habe Angst«, erklärt sie, nachdem ich sie in den Arm genommen habe, wir zusammen geweint haben und ich ihr erklärt habe, dass ich in meinem ganzen Leben einem Herzinfarkt noch nie so nahe war.
»Das ist nicht deine Schuld«, sage ich und halte sie fest. »Das ist nicht deine Schuld, okay?«
Nachdem ich ins Bett gegangen war, ist sie noch mal raus. Clark hatte angerufen und sie aufgefordert, sich mit ihm in einer Kneipe in Brixton zu treffen. Sie waren zu einem Haus gegangen, einem riesigen, leer stehenden Haus voller Leute, die sich nicht zu kennen schienen, und lauter, dröhnender Musik.
»Sie haben getrunken«, erzählt sie. »Sie lagen auf den Betten und haben dieses Zeug geraucht. Ich habe Clark gesagt, dass ich nach Hause will, aber er wurde wütend. Er meinte, dass er schließlich den ganzen verdammten Weg nach London gekommen wäre und ich es ihm schulde, noch zu bleiben. Aber ich hatte ihn gar nicht gebeten, nach London zu kommen, ich wollte nicht mal, dass er kommt. Und dann haben sie dieses Zeug abgewogen. Ich hatte eine richtige Scheißangst … Er hat damit gedealt, verstehst du? Und dann hämmerte es an der Tür, und die Polizisten stürmten herein und fragten: ›Sind Sie Clark Elder?‹ Sie haben ihm Handschellen angelegt und ihm das alles erklärt, dieses ›Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern – alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden‹, und dann sagten sie, dass sie ihn wegen Vergewaltigung verhaften!«
Ich nehme sie in die Arme und halte sie fest, während sie weint, und ich fühle eine Liebe, die ich noch nie zuvor empfunden habe. Es ist, als ob sie mir die Brust zuschnürt. Danach hole ich uns einen Tee aus dem Automaten. Sie sitzt da und trinkt ihn zitternd, starrt ihre Hände an. Dann sagt sie: »Caroline, kann ich dir was erzählen? Die Sache ist die …« Als sie aufblickt, schimmern Tränen in ihren Augen. »Ich glaube, das hat er auch mit mir gemacht.«
Lexi muss eine Aussage machen, bevor sie geht, und ich bleibe auf der roten Plastikbank sitzen und starre nachdenklich in meinen Tee.
Ich bin ihre große Schwester, ihre vernünftige große Schwester, und doch hatte ich den ganzen Sommer das Gefühl, gegen meine Probleme kämpfen zu müssen, während in Wirklichkeit sie diejenige war, die gegen das schlimmste Problem von allen gekämpft hat. Ich habe versagt, das wird mir jetzt klar. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich so richtig versagt.
»Dad!«
Lexi kommt aus dem Verhörraum, und ich bin immer noch in einer Art Trance, als Dad durch die Tür stürmt, braun gebrannt und mit Haaren, die dringend geschnitten werden müssten, wie immer.
Er streckt uns die Arme entgegen.
»Dad, du bist hierhergekommen? Wieso bist du hierhergekommen?«, kreischt Lexi.
Als ich ihn umarme, weine ich und strahle gleichzeitig.
Wir sitzen jetzt in einem Kentucky Fried Chicken und teilen uns ein Familienmenü. Es ist das erste Mal in unserem Leben, dass wir als Familie essen, nur wir beide und Dad. Der Regen hat aufgehört, und ein Sonnenstrahl fällt auf den weißen Kunststofftisch. Von
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