Roman
denkst, du kannst meiner Schwester nachlaufen und mir vorschreiben, was ich tun soll, mir erzählen, wie Leute sind, die du nicht mal kennst. Das wäre mir ja noch egal, aber du bist doch selbst nicht unbedingt der ideale Freund, oder? Hast meine Schwester kurz vor der Hochzeit einfach sitzen lassen! Sie trägt immer noch das Kleid, weißt du das? Du hast ihre Träume zerstört.«
Martin sieht mich mit einem Ausdruck in den Augen an, den ich niemals vergessen werde. Mein Magen zieht sich zusammen.
»Martin, hör zu, ehrlich, ich bin einfach nicht dazu gekommen, das ist alles. Ich wollte … Scheiße!«
Er ist weg. Ich höre, wie er die Treppe hinunterrennt, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und dann knallt die Haustür zu.
»Zufrieden?«, frage ich Lexi. Und dann kommt es zum großen Knall.
»Oh, das ist gut!« Lexis Stimme ist eiskalt. »Das ist ein verdammter Witz, wenn du das sagst. Ich weiß das mit dir und Toby, Caroline.«
»Was?«
Sie steht jetzt mitten im Zimmer.
»Ja, du hast richtig gehört: Ich weiß von deiner Affäre, habe es von Anfang an gewusst. Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als ich nach Hause kam und betrunken war, weil ich mit Tristan aus war?«
»Ja«, antworte ich und weine jetzt auch.
»Ich habe die Unterhose gesehen, Tobys Tommy-Hilfiger-Unterhose? Und ich habe gesehen, wie du sie in die Schublade gesteckt hast. Ich konnte mir das da noch nicht wirklich erklären, ich dachte, ich wäre dumm und dass es bestimmt irgendeinen Grund dafür gab, warum eine Tommy-Hilfiger-Unterhose in der Schublade lag. Aber dann sah ich, dass Toby sie bei diesem Grillabend anhatte, und plötzlich ergaben irgendwie ganz viele Dinge einen Sinn. Der Buchclub, der gar kein Buchclub ist. Die Liste, auf der stand »bei einem Buchclub mitmachen«. Warum solltest du so etwas schreiben, wenn du doch schon in einem bist? Die Art, wie du ihn bei der Arbeit ansiehst, wie du ihn berührst, dass du ihm ständig mailst. Ich bin vielleicht nicht so schlau wie du, aber ich bin nicht dumm.«
Oh, aber ich schon, denke ich. Ich bin so unglaublich dumm.
»Dann habe ich eben eine Affäre mit einem verheirateten Mann, na und? Was spielt das überhaupt für eine Rolle?«
»Und was würde deine Mutter dazu sagen?«, schreit sie.
»Deine hat das doch auch gemacht!«, schreie ich zurück.
Wir stehen da, beide in Tränen aufgelöst, und ich denke: Wie konnte es dazu kommen? Wie haben wir es geschafft, diesen Sommer so völlig zu ruinieren?
»Hör zu, es ist mir eigentlich egal«, brüllt Lexi. »Ich habe dich sogar beschützt! Als wir bei diesem Grillabend waren, habe ich gesehen, wie furchtbar betrunken du warst, wie nervös du warst, aber du hast mir leidgetan, Caroline. Ich habe es gehasst zu sehen, wie du kämpfst. Als du auf das Bücherregal gestarrt und verzweifelt versucht hast, dir irgendetwas auszudenken, bin ich für dich eingesprungen.«
»Wovon redest du?«, frage ich, und meine Gedanken rasen zurück zu diesem furchtbaren Nachmittag, aber sie ertrinken im Alkohol.
»Ich war es, die Fever Pitch gesagt hat, ich wollte dich retten.«
»Aber ich kann mich nicht … Ich kann mich nicht …«
»Nein, du kannst dich nicht erinnern, weil du sturzbesoffen warst, aber ich war das, und dann ist es schiefgegangen, und ich habe mich schlecht gefühlt, noch dämlicher, als ich mich sowieso schon die meiste Zeit fühle.«
»Dann hast du mich beschützt?«
»Ja!«
»Und warum hast du mir das nicht erzählt?«
»Weil ich Angst hatte, dass du denkst, ich würde mich einmischen. Weil du meine große Schwester bist, zu der ich aufsehe. Weil ich dich liebe, Caroline. Hallo? Ich bin hergekommen, damit ich wieder einen klaren Kopf kriege, aber dann habe ich gesehen, wie abgefuckt dein Leben ist, und du hast mir leidgetan, und ich wollte es nicht akzeptieren. Du warst immer so perfekt, hast deinen Schulabschluss gemacht und bist zur Uni gegangen. Hast alles richtig gemacht, warst immer die »schlaue« Schwester. Und dann komme ich her und entdecke die Wahrheit, und ich dachte: Gott, du bist es, die meine Hilfe braucht!«
Ich stehe schluchzend da. Sie hat recht. Völlig recht. Mein Leben ist ein einziges Chaos, total verkorkst. Ich war wahnsinnig und dumm und unfähig zu sehen, was gut für mich ist. Geh hin, und nimm sie in den Arm, denke ich. Nimm sie in den Arm, und sag ihr, dass es dir leidtut. Sag ihr, dass du sie liebst und dass sie recht hat, dass du das alles klären wirst. Aber etwas hält mich davon ab.
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