Roman
Sachen in mir angestaut haben.
Doch Dad macht es mir leicht.
»Du musst furchtbar wütend auf mich sein«, meint er.
Ich zucke mit den Schultern und starre in meine Cola. Ich habe Angst, dass ich, wenn ich jetzt etwas sage, vielleicht anfange zu weinen und nicht mehr aufhören kann. Aber andererseits ist das eine Gelegenheit, die vielleicht nie wieder kommt, also gestehe ich: »Ich habe dich einfach vermisst, Dad.« Er legt seine Hand auf meine. »Ich habe mich so verloren gefühlt, als du Mum und mich verlassen hast, und dann, als Lexi kam …«
»Ich weiß, Schatz«, unterbricht er mich. Eine Träne rollt über seine Wange.
»Erinnerst du dich noch daran, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe? An das erste Wochenende, das ich nach ihrer Geburt bei euch verbracht habe? Ich habe sie gehasst«, gestehe ich, und als die Worte meinen Mund verlassen, fühle ich mich, als hätte jemand den Zementberg, der seit siebzehn Jahren auf meiner Brust lastet, endlich hochgehoben. »Ich liebte sie, wie ich noch nie jemanden in meinem Leben geliebt habe, und gleichzeitig hasste ich sie.«
»Und jetzt?«
»Oh Gott, jetzt, jetzt würde ich für sie sterben«, sage ich.
Dad nickt und lächelt, als hätte er das längst gewusst.
»Ich liebe sie auch, aber sie ist nicht du, Caroline, und das wird sie niemals sein. Soll ich dir mal ein Geheimnis verraten? Das erste Kind liebt man immer am meisten. Man liebt die anderen Kinder auch, natürlich tut man das, und ich liebe auch Chris, aber es ist nie wieder so ein überwältigendes Wunder wie bei dem Erstgeborenen.« Er sieht mich mit seinen klugen grauen Augen an. »Für mich wirst du immer ein Wunder sein, selbst wenn ich es verpasst habe, dir das zu zeigen, weißt du das? Ich bin so stolz auf dich, Caro. So stolz auf die Frauen, die aus dir und deiner Schwester geworden sind.«
Ich sehe, wie Lexi durch die Tür des Restaurants zurückkommt. Sie bringt den angenehmen Geruch von frischem Regen mit, und zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wie eine richtige Schwester. Ich bin auch ziemlich stolz auf mich.
23
Dad fährt am nächsten Tag wieder. In Guildford findet eine alternative Gesundheitsmesse statt, und Healing Horizons hat dort einen Stand.
»Ich werde nicht hinfahren«, erklärt er beim Frühstück. »Deine Mutter ist dort, Alexis, und ich sollte hier sein und mich als euer Vater um euch kümmern, anstatt den Leuten zu erzählen, dass sie ihr Leben ändern sollen, wenn ich selbst keine Ahnung habe, was im Leben meiner Töchter vorgeht.«
Lexi und ich lachen beide; ich weiß nicht, warum. Vielleicht ist es die kindliche Art, wie er es sagt, so, als würde er glauben, er müsste sich jetzt total ändern und plötzlich »Superdad« sein.
Niemand von uns kann sich völlig ändern, schätze ich. Dad wird immer in Wolkenkuckucksland leben, mit sich selbst beschäftigt sein, und ich werde vielleicht immer ein bisschen stachelig sein und nicht ein so charmantes, offenes Buch, wie Lexi es ist. Tief in meinem Innern hat ein Teil von mir immer Dad die Schuld an meinem katastrophalen Liebesleben gegeben. Aber das kann man nicht ewig tun, oder? Irgendwann muss man das mal hinter sich lassen und weitermachen.
Vielleicht wird da immer eine kleine Lücke in meinem Leben sein, die mein Vater nie ganz füllen konnte. Aber jetzt kann er sie für mich auch nicht mehr schließen, dafür ist es zu spät. Also sage ich:
»Dad, fahr ruhig.«
Healing Horizons macht ihn glücklich, es gibt ihm ein gutes Gefühl, es füllt die Leere, die er empfunden hat.
»Ja, Dad, bitte bleib nicht«, stimmt Lex lachend zu. »Ich glaube nicht, dass ich noch mehr von dieser glücklichen Hippie-Familie, Zusammenbrüche im Kentucky Fried Chicken oder noch mehr Zuwendung ertragen kann. Ich glaube, ich komme jetzt klar.«
Dad sitzt eine Sekunde lang da und köpft sein Ei. »Nun, dann weiß ich, dass ich nicht länger gebraucht werde«, meint er schließlich, und wir alle brechen in Gelächter aus. »Dann fahre ich. Ihr müsst allein klarkommen, Kinder.«
Dad ist gefahren, und ich lache innerlich, als ich ihn mir nach seinem Zusammenbruch im Kentucky Fried Chicken wieder bei Healing Horizons vorstelle. Ich lege mich ein bisschen aufs Bett. Ich habe mir noch einen Tag freigenommen – und Lexi auch beurlauben lassen. Gestern habe ich bei SCD angerufen und erklärt, dass wir eine dringende Familienangelegenheit klären müssten und Mittwoch wiederkämen. Erst als ich mich umdrehe, bemerke ich mein
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