Roman
draußen hört man das Geräusch von Reifen auf Asphalt.
»Hör zu, ich will wissen, was passiert ist«, sagt Dad zu Lexi. »Erzähl mir, was passiert ist.«
Also berichtet Lexi noch mal, was geschehen ist, von dem Abbruchhaus, dem Alkohol, den Drogendeals und der Polizeirazzia. Es wirkt lächerlich, dass wir hier sitzen und uns gebackene Bohnen teilen. Die Tragödie ist zu groß für so einen gewöhnlichen Ort.
Dad schweigt, und als ich zu ihm hinüberschaue, sehe ich, dass ein kleiner Spuckefaden aus seinem Mund hängt, dass er dasitzt und weint. Lexi steht auf und legt die Arme um seinen Hals.
»Oh, Dad. Schon gut. Weine nicht, bitte. Nicht hier.«
Ich habe das Gefühl, ich sollte etwas tun, aber plötzlich bin ich wieder fünfzehn, Dad weint, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Ich bin auf meinem Stuhl wie festgefroren.
»Es geht gleich wieder«, schluchzt Dad und tätschelt Lexis Arm. »Aber ich möchte euch etwas sagen, und ich möchte, dass ihr mir beide zuhört, okay? Ich habe euch im Stich gelassen. Ich war ein schlechter Vater, und dafür gibt es absolut keine Entschuldigung.«
»Dad, das stimmt nicht«, widerspricht Lexi. Ich trinke von meiner Cola.
»Doch, das war ich, Schatz, du musst mich nicht trösten. Lass mich einfach ausreden, ja?«
Er seufzt tief, und als er dann anfängt zu reden, kommen ganz viele alte Sachen zur Sprache, Dinge, von denen ich nichts wusste, und ich höre ihm gespannt zu. Zum Beispiel wollte er nie Kinder, nicht wirklich, und als ich geboren wurde, fühlte er sich völlig überfordert.
»Wir kamen mit dir nach Hause, und du hast drei Wochen lang nur geschrien«, erzählt er. »Und jedes Mal, wenn ich dich hochgehoben habe, hast du noch mehr geschrien. Deine Mutter sagte, ich würde alles falsch machen, also habe ich einfach aufgegeben. Ich habe dich über alles geliebt, Caro, aber ich kam mir unzulänglich vor, so, als könnte ich deine Erwartungen nie ganz erfüllen.«
Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Sind meine Ansprüche wirklich so hoch, dass ich meinem Vater das Gefühl gegeben habe, unzulänglich zu sein?
Er und Mum hätten damals bereits große Probleme gehabt, fährt er fort. Sie habe einen Ehemann gewollt, der er nicht sein konnte, und dann habe er auch noch das Gefühl gehabt, als Vater nicht zu taugen.
»Ich war so furchtbar unglücklich. Doch dann, als ich deine Mutter kennenlernte, Lexi, ergab plötzlich alles einen Sinn. Als sie mit dir schwanger wurde, war ich überglücklich. Das war meine Chance, endlich ein guter Vater zu sein. Aber ich habe es wieder versaut, versteht ihr das nicht?«
»Was?«, fragt Lexi. »Nein, du hast es nicht versaut.«
»Doch. Nur auf eine andere Art. Ich war so verdammt glücklich, so blind verliebt in mein neues Leben, dass ich nur an mich selbst denken konnte. Und ich habe vergessen, ein Vater zu sein.«
Lexi runzelt die Stirn; sie begreift das nicht. Da wird mir klar, wie nachsichtig sie ist, und ich fühle eine Welle der Zuneigung in mir aufsteigen.
»Ich wollte, dass du mich magst, Lexi. Ich wollte so verzweifelt dein Freund sein, aber jetzt ist mir klar, dass man einem Kind nichts Schlimmeres antun kann.«
»Aber du warst ein guter Vater. Du warst mein Freund.«
»Dein Freund vielleicht. Aber dein Vater? Ich weiß nicht«, entgegnet Dad und stochert in seinen Pommes herum. »Ich war ein Hippie-Vater; ich habe erlaubt, dass du dich mit Männern triffst, die doppelt so alt waren wie du. Ich dachte, ich sei tolerant, dabei hast du dich nach Grenzen gesehnt. Nie habe ich dir die richtigen Fragen gestellt, als du verzweifelt warst, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Und jetzt sieh dir an, was passiert ist. Deine Mutter und ich haben immer gesagt, dass du alles machen kannst, was du willst. Aber was genau sollte das sein? Wir haben dir nicht den Weg gezeigt.«
»Zwei Familienmenüs und eine normale Pommes!«, schreit jemand in der Küche, und für eine Sekunde geht die Intensität unseres Gesprächs verloren.
Dann sagt Lexi: »Aber ich habe die Schule geschmissen, Dad. Ich habe dich enttäuscht. Du kannst nicht stolz auf mich sein, so wie auf Caroline.«
Verlegen sehe ich in mein Getränk – wenn er wüsste, wenn er nur wüsste …
»Natürlich bin ich stolz auf dich«, widerspricht er. »Sehr stolz sogar.«
Lexi geht nach draußen, um ihre Mutter anzurufen, und nun sitzen nur noch Dad und ich da. Ich weiß nicht, was ich sagen soll; ich habe das Gefühl, dass sich zweiunddreißig Jahre lang
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