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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Bauch, der schon am Hals anfing, des weiteren mit einem Kinn, das sich ringsum in Falten über den Kragen legte, und zwei lustigen Augenschlitzen in dem faltigen, bartlosen gelben Gesicht: Er erinnerte ein wenig an so eine Art von Zwergen, wie man sie am Bahnhof unter uns gesucht hatte. Dabei trug er eine stattliche Mütze auf dem Kopf, vor ihm auf dem Tisch lag eine funkelnagelneue Aktentasche, daneben eine aus weißem Leder geflochtene und, wie ich im Übrigen zugeben musste, sehr schön gearbeitete Peitsche, ganz offensichtlich sein persönliches Eigentum. All das konnte ich durch die Lücken zwischen den vielen Schultern und Köpfen hindurch bequem beobachten, während auch wir neu Hinzugekommenen uns bemühten, ein Plätzchen zu finden, uns in dem jetzt bereits überfüllten Raum einzurichten. Währenddessen huschte der Sträfling durch eine gegenüberliegende Tür schnell hinaus und gleich wieder herein, um dann dem Soldaten etwas mitzuteilen, sehr vertraulich, fast ganz an sein Ohr gebeugt. Der Soldat schien zufrieden, und sogleich war auch seine dünne, scharfe und atemlose, eher an ein Kind oder vielleicht an eine Frau erinnernde Stimme zu vernehmen, wie er dem Sträfling in ein paar Sätzen antwortete. Darauf richtete sich dann der Sträfling auf, hob eine Hand und bat uns nun auf einmal um «Ruhe und Aufmerksamkeit» – und da habe ich zum ersten Mal auch meinerseits jene oft beschworene Erfahrung gemacht, welche unerwartete Freude es bedeutet, in der Fremde die heimatlichen Klänge der ungarischen Sprache zu vernehmen: Ich stand also einem Landsmann gegenüber. Ich hatte dann auch gleich ein bisschen Mitleid mit ihm, denn wie ich sehen konnte, war er ein noch ganz junger, intelligenter und, obwohl ein Sträfling, gewinnend aussehender Mann, wie ich zugeben musste, und ich hätte große Lust gehabt, von ihm zu erfahren, woher und wie und um welchen Vergehens willen er wohl in Gefangenschaft geraten war; doch vorläufig ließ er uns nur wissen, dass er uns über die nun folgenden Verrichtungen zu informieren und die Wünsche des «Herrn Oberscharführers» an uns weiterzuleiten gedenke. Wenn auch wir uns Mühe gäben, wie man es im Übrigen nicht anders von uns erwarte – so fügte er hinzu –, dann würde alles «rasch und reibungslos» vonstatten gehen, was seines Erachtens zwar hauptsächlich in unserem Interesse liege, doch, so versicherte er, gleichzeitig auch dem Wunsch des «Herrn Ober» entspreche – wie er ihn jetzt schon, von der offiziellen Bezeichnung etwas abweichend, kürzer und nach meinem Empfinden auch irgendwie vertraulicher nannte.
    Dann haben wir von ihm ein paar einfache, in dieser Situation selbstverständliche Dinge erfahren, während der Soldat seine Worte – es waren schließlich die Worte eines Sträflings – mit lebhaftem Nicken guthieß, sie für uns gewissermaßen beglaubigte, sein freundliches Gesicht, seine fröhlichen Augen dabei einmal ihm, einmal uns zuwendend. Wir konnten zum Beispiel erfahren, dass wir uns im folgenden Raum, nämlich dem «Auskleideraum», ausziehen und alle unsere Kleider an den dort befindlichen Haken aufzuhängen hatten. An den Haken würden wir Nummern vorfinden. Während wir badeten, würden unsere Kleider desinfiziert. Es sei nun wohl gar nicht nötig – so befand er, und meiner Ansicht nach hatte er recht –, uns extra zu erklären, warum es so wichtig sei, dass sich ein jeder die Nummer seines Kleiderhakens gut merke. Es fiel mir auch nicht schwer, den Nutzen jenes Vorschlags einzusehen, demgemäß es «ratsam» war, unsere Schuhe paarweise zusammenzubinden, «um jeglicher Verwechslung vorzubeugen», fügte er hinzu. Darauf würden sich, so versprach er, Friseure um uns kümmern, und dann endlich konnte das Bad folgen.
    Zuvor aber – so fuhr er fort – sollten diejenigen vortreten, die noch Geld, Gold, Edelsteine oder sonstige Wertsachen bei sich hätten, und diese beim «Herrn Ober hinterlegen», da es die letzte Gelegenheit sei, sich der Sachen «noch ungestraft zu entledigen». Wie er nämlich erklärte, war der Handel, jeglicher An- und Verkauf und demzufolge auch der Besitz und das Einführen von Wertsachen strengstens verboten im «Lager» – diesen für mich neuen, doch sogleich leichtverständlichen Ausdruck hat er verwendet. Nach dem Bad würde jede Person «geröntgt», und zwar mit einem «eigens für diesen Zweck bereitgestellten Röntgenapparat» – so haben wir von ihm erfahren, und auch der Soldat hat mit betontem

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