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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Kopf, das nach hinten ausschwingende Bein ahmten den Laufschritt nach, während die Hände sich vorn unter einem gewaltigen würfelförmigen Stein anspannten. Im ersten Augenblick betrachtete ich die Figur nur mit Kunstverstand, ja – so, wie wir es in der Schule gelernt hatten – ohne jede Absicht, erst dann kam mir in den Sinn, dass sie ja bestimmt auch etwas zu bedeuten hatte und nicht gerade als ein besonders vielversprechendes Vorzeichen angesehen werden konnte, wenn man es recht bedachte. Doch dann fiel mein Blick auf dichten Gitterdraht, darauf auf ein prächtiges, sich zwischen zwei mächtigen Steinsäulen öffnendes eisernes Tor mit einem verglasten, irgendwie an die Kommandobrücke von Schiffen erinnernden Aufbau darüber, und gleich darauf schritt ich darunter auch schon hindurch: Ich war im Konzentrationslager Buchenwald angekommen.
    Buchenwald liegt in einer hügeligen Gegend, auf dem Rücken einer Anhöhe. Die Luft ist rein, das Auge wird von einer abwechslungsreichen Landschaft erfreut, dem Wald ringsum und den roten Ziegeldächern der Bauernhäuser im Tal. Das Bad befindet sich hier auf der linken Seite. Die Häftlinge sind größtenteils freundlich, dies aber irgendwie anders als in Auschwitz. Nach der Ankunft erwarten einen auch hier Bad, Friseur, Desinfektionsmittel und Kleiderwechsel. Die Garderobevorschriften sind im Übrigen genau die gleichen wie in Auschwitz. Nur dass hier das Wasser wärmer ist, die Friseure ihre Arbeit umsichtiger verrichten und sich der Kleiderverwalter die Mühe nimmt, und sei es auch nur mit einem flüchtigen Blick, von dir Maß zu nehmen. Danach kommst du in einen Flur, vor ein Schiebefenster, und sie möchten von dir wissen, ob du nicht zufällig Goldzähne hast. Dann schreibt ein schon länger hier wohnender Landsmann von dir, der sogar über Haare verfügt, deinen Namen in ein großes Buch, händigt dir ein gelbes Dreieck aus sowie einen breiten Lappen, einen Stoffstreifen, beides aus Leinen. In der Mitte des Dreiecks kannst du, zum Zeichen, dass du ja schließlich Ungar bist, ein großes U, auf dem Stoffstreifen eine gedruckte Nummer lesen, auf meinem zum Beispiel die 64   921. Es sei ratsam, erfuhr ich, die klare, deutliche und verständliche Aussprache der Zahl so schnell wie möglich auch auf Deutsch zu erlernen, so: «vier-und-sechzig, neun , ein-und-zwanzig» , weil von nun an immer das meine Antwort zu sein habe, falls jemand wissen wolle, wer ich sei. Doch diese Nummer wird dir hier nicht in die Haut geschrieben, und stellst du noch zuvor, zur Zeit des Duschens etwa, diesbezüglich besorgte Fragen, so protestiert der alte Häftling mit hocherhobenen Händen und zur Decke verdrehten Augen: «Aber Mensch, um Gottes willen, wir sind doch hier nicht in Auschwitz!» Dessenungeachtet müssen sowohl Nummer wie Dreieck bis zum Abend auf der Brust des Anzugs aufgenäht sein, und zwar mit Hilfe der alleinigen Besitzer von Nadel und Faden: der Lagerschneider; solltest du des Schlangestehens bis zum Abend überdrüssig sein, kannst du ihnen mit einem bestimmten Teil deiner Ration Brot beziehungsweise Margarine etwas mehr Lust machen, wenngleich sie es auch so gern tun, denn schließlich ist es ihre Pflicht, wie es heißt. In Buchenwald ist es kühler als in Auschwitz, die Tage sind grau, und es nieselt häufig. Doch in Buchenwald kann es passieren, dass man schon zum Frühstück mit einer Art heißen Einbrennsuppe überrascht wird; wie ich im weiteren erfuhr, beträgt die Brotration normalerweise ein drittel, manchmal sogar ein halbes Brot – und nicht, wie in Auschwitz, normalerweise ein drittel, an bestimmten Tagen ein fünftel – und kann die Mittagssuppe eine Einlage und darin auch rote Fleischfasern, ja, im glücklichen Fall sogar den einen oder anderen Fleischbrocken enthalten; auch bin ich hier mit dem Begriff der «Zulage» vertraut geworden, die man in Form von Wurst oder einem Löffel Marmelade zusätzlich zur ständigen Margarine «fassen» kann – wie es der ebenfalls hier anwesende und bei solcher Gelegenheit höchst zufrieden wirkende Berufsoffizier ausdrückte. In Buchenwald wohnten wir in Zelten, dem sogenannten Zeltlager oder Kleinlager , und schliefen auf Stroh, zwar nicht voneinander abgesondert, sondern recht eng, aber immerhin waagerecht; der Drahtzaun war im hinteren Teil noch nicht geladen, allerdings würden auf den, der etwa nachts aus dem Zelt heraustritt, Schäferhunde gehetzt werden – so wurde gewarnt, und am Ernst der Warnung solltest

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