Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Alteingesessene, Kränkelnde, Amtsträger, Lagerwarte, die glücklichen Auserwählten der inneren Kommandos kamen und gingen, erledigten ihre tägliche Arbeit. Da und dort vermischten sich verdächtige Rauchschwaden mit freundlicheren Dämpfen, von irgendwoher drang vertrautes Geklapper zu mir herauf, so wie der Glockenschlag in unsere Träume, und mein suchender Blick fiel bald auf einen Trupp dort unten, von dem mühsam dampfende Kessel geschleppt wurden, mit quer über die Achseln gelegten Stangen, und in der herb riechenden Luft erkannte ich von fern her, kein Zweifel, den Duft von Kohlrübensuppe. Das war schade, denn dieser Anblick, dieser Duft mögen in meiner sonst schon abgestumpften Brust ein Gefühl ausgelöst haben, dessen anschwellende Woge sogar aus meinen ausgetrockneten Augen noch ein paar wärmere Tropfen in die kalte Nässe auf meinem Gesicht zu pressen vermochte. Und alles Abwägen, alle Vernunft, alle Einsicht, alle Verstandesnüchternheit half da nichts – in mir war die verstohlene, sich ihrer Unsinnigkeit gewissermaßen selbst schämende und doch immer hartnäckiger werdende Stimme einer leisen Sehnsucht nicht zu überhören: Ein bisschen möchte ich noch leben in diesem schönen Konzentrationslager.
8
Ich muss einsehen, dass ich gewisse Dinge nie zu erklären vermag, auf keine Weise, nicht wenn ich sie von meiner Erwartung, von den Regeln, der Vernunft – im Ganzen also vom Leben und der allgemeinen Ordnung her betrachte, soweit ich sie kenne, zumindest. So habe ich zum Beispiel, nachdem man mich wieder vom Karren abgeladen hatte, irgendwohin auf den Boden, überhaupt nicht begriffen, was ich noch mit Rasiermesser und Haarschneidemaschine zu tun hatte. Jener bis zum Ersticken vollgepfropfte und auf den ersten Blick einem Duschbad täuschend ähnliche Raum, auf dessen glitschigem Holzrost man mich ablegte, zwischen unzählige Füße, geschwürige Waden und Schienbeine, die da herumwühlten und sich gegen mich pressten, entsprach im Großen und Ganzen schon eher meiner Erwartung. Zuletzt ging mir sogar noch flüchtig durch den Kopf: Na also, demnach ist, wie es scheint, auch hier der Auschwitzer Gebrauch üblich. Umso größer war meine Überraschung, als nach einer kurzen Wartezeit, nach schnaufenden, gurgelnden Tönen unerwartet Wasser, großzügig bemessenes, warmes Wasser aus den Hähnen dort oben zu strömen begann. Hingegen war ich nicht sehr erfreut, denn ich hätte mich gern noch ein wenig gewärmt, doch was konnte ich dagegen tun, dass mich auf einmal eine unwiderstehliche Kraft aus diesem Wald von wimmelnden Beinen in die Höhe riss, während eine Art großes Laken und darauf eine Decke sich um mich wickelten. Dann erinnere ich mich an eine Schulter, über die ich mit dem Kopf nach hinten, mit den Beinen nach vorn herunterhing; an eine Tür, an die steilen Stufen eines engen Treppenhauses, nochmals eine Tür, dann ein großer Raum, um nicht zu sagen ein Zimmer, wo neben Helle und Geräumigkeit ein nahezu schon kasernenmäßiger Luxus der Einrichtungsgegenstände mein ungläubiges Auge traf, und schließlich das Bett – ein richtiges, echtes, ganz offensichtlich für eine Person gedachtes Bett mit einem gutgestopften Strohsack und zwei grauen Decken –, auf das ich von dieser Schulter hinüberrollte. Des weiteren erinnere ich mich an zwei Männer – richtige, schöne Menschen mit Gesichtern, Haaren, in weißen Hosen, Trikothemden und Holzpantinen; ich sah sie mir an, konnte mich überhaupt nicht sattsehen an ihnen, während sie umgekehrt mich betrachteten. Da erst fielen mir ihre Lippen auf und dass schon eine Weile irgendeine Singsang-Sprache an mein Ohr drang. Ich hatte das Gefühl, sie wollten etwas von mir wissen, aber ich konnte bloß den Kopf schütteln: Ich verstand nichts. Darauf hörte ich den einen, allerdings mit recht seltsamer Betonung, auf Deutsch fragen: «Hast du Durchmarsch?» ,und mit einiger Überraschung stellte ich fest, dass meine Stimme – warum auch immer – erwiderte: «Nein» , wahrscheinlich noch da, noch jetzt aus Eitelkeit vermutlich. Daraufhin – nachdem sie sich ein wenig beratschlagt, sich ein bisschen zu schaffen gemacht hatten – drückten sie mir zweierlei in die Hand. Ein Geschirr mit lauwarmem Kaffee und ein Stück Brot, so ungefähr ein Sechstel, schätzungsweise. Das durfte ich nehmen, durfte es verzehren, ohne jeglichen Preis, ohne jeglichen Handel. Dann nahm eine Zeit lang mein auf einmal Lebenszeichen gebendes, aufbegehrendes,
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