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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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lachten, ließ bei mir keinen Zweifel darüber, dass er meinesgleichen schon kannte, und zwar gründlich. Es war unangenehm, und ich hätte ihnen gerne irgendwie zu verstehen gegeben, dass da ein Irrtum war, weil die Ungarn ja mich wiederum gar nicht für ihresgleichen hielten, und dass ich ihre Meinung über sie im Großen und Ganzen einfach teilen und es kurios, ja vor allem ungerecht finden würde, wenn man mich hier nun ausgerechnet ihretwegen schief ansah – doch dann ist mir die dumme Behinderung eingefallen, dass ich ihnen das eben nur auf Ungarisch hätte erzählen können, oder allenfalls vielleicht auf Deutsch, was aber die Sache noch schlimmer gemacht hätte, das fand ich selbst auch.
    Dann war da noch ein anderes Manko, ein weiterer Makel, den ich schließlich – es ging schon Tage – mit keiner Anstrengung mehr verbergen konnte. Ich hatte bald gelernt, dass es hier üblich war, bei Bedarf einen nur wenig älteren Jungen, so eine Art Hilfspfleger, zu rufen. Er erschien bei dieser Gelegenheit mit einem flachen und dem Zweck entsprechend langstieligen Geschirr, das unter die Decke geschoben wurde. Dann musste man ihn erneut rufen, «Bitte! Fertig! Bitte!» , bis er es holen kam. Nun konnte niemand, auch er nicht, diesem Bedürfnis eine ein-, zweimalige Berechtigung täglich absprechen. Nur konnte ich nicht umhin, ihn täglich dreimal, wenn nicht viermal zu bemühen, und das, so bemerkte ich, ärgerte ihn nun doch – ganz und gar verständlicherweise übrigens, das war nicht zu bestreiten, durchaus nicht. Einmal hat er das Geschirr sogar dem Arzt gebracht, etwas dazu erklärt und argumentiert und immer wieder auf den Inhalt gezeigt, bis der Arzt angesichts des Beweisstücks dann auch ein wenig nachdenklich wurde, wenngleich der Wink seines Kopfes, seiner Hand unmissverständlich eine Zurückweisung bedeutete. Am Abend blieb auch der Zucker nicht aus: also alles in Ordnung – ich durfte mich von neuem fest zwischen den Steppdecken und zwischen den wärmenden Körpern einnisten, in einer Sicherheit, die unanfechtbar, wenigstens heute noch andauernd und nicht erschütterbar zu sein schien.
    Am nächsten Tag, irgendwann zwischen dem Kaffee und der Suppenzeit, trat ein Mensch aus der Welt draußen herein, ein ganz hoher Würdenträger, wie ich gleich bemerkte. Die große Künstlermütze war aus schwarzem Filz, seine Kleidung ein makellos weißer Umhang, darunter eine Hose mit rasiermesserscharfer Bügelfalte, an den Füßen glänzend polierte Halbschuhe, und vor seinem Gesicht erschrak ich ein bisschen, nicht nur vor den irgendwie grob ausgeprägten, irgendwie allzu männlichen, wie mit dem Meißel herausgehauenen Zügen, sondern auch vor seiner auffällig violetten, fast wie geschunden wirkenden Haut, die gleichsam das rohe Fleisch durchscheinen ließ. Außerdem kennzeichneten ihn eine hohe, schwere Gestalt, schwarzes, an den Schläfen schon leicht ergrautes Haar, eine Armbinde, die von meinem Platz aus nicht zu entziffern war, da er die Hände auf dem Rücken verschränkt hielt, aber vor allem ein rotes Dreieck ohne weiteres Zeichen: das heißt also die unheilverkündende Tatsache unverfälschten deutschen Blutes. Im Übrigen konnte ich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben jemanden sehen, dessen Sträflingsnummer nicht eine Zehntausender, nicht eine Tausender, ja nicht einmal eine Hunderter war, sondern im Ganzen nur aus zwei Zahlen bestand. Unser Arzt eilte gleichhin, um ihn zu begrüßen, ihm die Hand zu schütteln und ein bisschen den Arm zu tätscheln, mit einem Wort: sein Wohlwollen zu erregen, wie bei einem sehr willkommenen Gast, der endlich mit seinem Besuch das Haus beehrt – und zu meiner größten Verblüffung musste ich plötzlich sehen, dass er allem Anschein nach ohne Zweifel von mir sprach. Er zeigte sogar auf mich, mit einem schwungvollen Bogen seiner Hand, und aus der schnellen, dieses Mal deutschen Rede drangen deutlich die Worte «zu dir» an mein Ohr. Dann fuhr er fort, beteuerte, redete auf ihn ein, und das fortwährend mit erklärenden Gebärden, als würde er eine Ware anpreisen, die er so schnell wie möglich loswerden wollte. Und der andere, der es sich zunächst schweigend angehört hatte wie der gewichtigere Partner, um nicht zu sagen der schwierige Kunde, schien am Schluss, als er wegging, schon ganz überzeugt – so empfand ich es wenigstens, denn da war der kurze, stechende, schon jetzt irgendwie besitzergreifende Blick seiner winzigen, dunklen, auf mich gerichteten Augen,

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