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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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schon irgendwo gesehen – ein gelbes Gesicht und große brennende Augen hatte allerdings jeder. Sein erstes Wort war, ob ich wohl einen Schluck Wasser hätte, und ich sagte, den würde ich auch nicht verschmähen; sein zweites, gleich nach dem ersten: und Zigaretten?, doch damit hatte er natürlich auch kein Glück. Er bot mir Brot dafür an, aber ich sagte ihm, Worte nützten da nichts, an ihnen liege es nicht, sondern ich hätte eben keine; daraufhin verstummte er für eine Weile. Ich vermute, dass er Fieber hatte, weil seinem ununterbrochen zitternden Körper eine ständige Hitze entströmte, die mir von angenehmem Nutzen war. Schon weniger freute mich, dass er sich nachts so viel herumwarf und -drehte, und das auch nicht immer mit der gebotenen Rücksicht auf meine Wunden. Ich sagte ihm dann auch, he, genug, er solle ein bisschen Ruhe geben, und irgendwann hat er meine Worte dann auch beherzigt. Erst am Morgen habe ich gesehen, warum: Zum Kaffee versuchte ich bereits vergeblich, ihn zu wecken. Ich habe dem Pfleger aber doch eiligst auch seinen Napf hingehalten, als dieser, gerade als ich ihm den Fall melden wollte, das unwirsch von mir verlangte. Dann habe ich auch seine Brotration in Empfang genommen sowie seine Suppe am Abend, und so auch im weiteren, bis er eines Tages anfing, sich ziemlich seltsam aufzuführen: Da blieb mir dann doch nichts anderes übrig, als es zu melden, ich konnte ihn nicht länger in meinem Bett aufbewahren, schließlich und endlich. Ich war ein bisschen beklommen, denn die Verspätung war schon recht gut festzustellen und der Grund, bei einiger Sachkenntnis, mit der ich ja rechnen durfte, ebenso leicht zu erraten – aber man hat ihn mit den anderen weggebracht und Gott sei Dank nichts gesagt und mich auch vorläufig ohne Genossen sein lassen.
    Des weiteren lernte ich hier das Ungeziefer wirklich kennen. Die Flöhe konnte ich überhaupt nicht fangen: Sie waren flinker, verständlicherweise, denn sie waren ja auch besser genährt, nämlich an mir. Die Läuse dagegen ließen sich leicht kriegen, nur war es zwecklos. Wenn ich sehr wütend auf sie war, zog ich den Daumennagel über das auf meinem Rücken gespannte Leinen des Hemdes, und an dem lang anhaltenden Geknister konnte ich das Ausmaß der Rache, der Vernichtung ermessen und genießen – doch nach einer Minute hätte ich wieder von vorn beginnen können, an derselben Stelle und mit demselben Ergebnis. Sie waren überall, sie drängten sich in jeden versteckten Winkel, meine grüne Mütze war schon ganz grau, wimmelte nur so von ihnen, sie bewegte sich beinahe schon. Aber immerhin, am meisten war ich überrascht, verblüfft und dann auch entsetzt, als ich an der Hüfte plötzlich ein Kitzeln verspürte, den Papierverband hob und sah, dass sie schon in meinem Fleisch saßen und sich von meiner Wunde nährten. Ich fuchtelte herum, versuchte, sie loszuwerden, sie wenigstens dort herauszuwürgen, herauszuklauben, sie wenigstens noch zu ein bisschen Geduld, ein bisschen Abwarten zu zwingen – und ich kann behaupten, dass mir noch nie ein Kampf so aussichtslos erschienen ist, ein Widerstand so hartnäckig, ja unverschämt, wie dieser. Nach einer Weile habe ich es dann auch aufgegeben und dieser Gefräßigkeit nur noch zugesehen, diesem Gewimmel, dieser Gier, diesem Appetit, diesem hemmungslosen Glück: Es war irgendwie, als würde ich das von irgendwoher ein wenig kennen. Mir ging auf, dass ich sie in gewisser Hinsicht verstehen konnte, wenn ich es mir recht überlegte. Zu guter Letzt war ich schon fast erleichtert, es schauderte mich fast nicht mehr. Auch jetzt freute ich mich nicht gerade, ich war immer noch ein wenig verbittert, verständlicherweise, wie ich meine – aber eher so allgemein, ohne wütend zu sein, eher so ein bisschen wegen der gesamten Ordnung der Natur, um es so zu sagen; auf jeden Fall habe ich das Ganze schnell wieder zugedeckt, mich danach auf keinen Kampf mehr mit ihnen eingelassen und sie nicht wieder behelligt.
    Ich kann behaupten: Es gibt keine noch so große Erfahrung, keine noch so vollkommene Ergebenheit, keine noch so tiefe Einsicht, dass man seinem Glück nicht doch noch eine letzte Chance gäbe – vorausgesetzt, man hat die Möglichkeit dazu, versteht sich. Als ich nämlich mit all denen, an deren Arbeitsfähigkeit offensichtlich keine großen Hoffnungen mehr zu knüpfen waren, nach Buchenwald, an den Absender gewissermaßen, zurückgeschickt wurde, da teilte ich mit allen mir verbliebenen Fähigkeiten

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