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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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damals, in Auschwitz, gekommen war. Gleich neben mir geriet ein unförmiger Gegenstand: ein Holzschuh in meinen Blick, auf der anderen Seite hingegen eine der meinen ähnliche Teufelsmütze mit spitzem Zubehör: einer Nase und einem Kinn, dazwischen eine hohle Vertiefung, ein Gesicht. Dahinter weitere Köpfe, Gegenstände, Körper – ich begriff: der Rest der Ladung, der Abfall, um es genauer zu sagen, den man offenbar erst einmal hier aufbewahrte. Nach einiger Zeit, und ich weiß nicht, ob es eine Stunde, ein Tag oder ein Jahr war, hörte ich dann schließlich Stimmen, Laute, das Geräusch von Aufräumarbeiten. Der Kopf neben mir hob sich auf einmal in die Höhe, und weiter unten, an seinen Schultern, erblickte ich Arme im Sträflingsanzug, die gerade im Begriff waren, den Körper auf eine Art Gefährt, eine Art Karren hinaufzuwerfen, obendrauf auf einen Haufen weiterer Körper. Gleichzeitig drangen Wortfetzen an mein Ohr, die ich gerade eben herauszuhören vermochte, und mit noch größerer Mühe erkannte ich in diesem heiseren Geflüster eine vordem – wie ich erinnern musste – doch so eherne Stimme: «Ich pro … tes … tiere», murmelte sie. Da blieb der Körper für einen Augenblick in der Luft hängen, bevor er weitergeschwungen wurde, gewissermaßen vor Überraschung, wie ich empfand, und gleich darauf hörte ich eine andere Stimme, offenbar von demjenigen, der ihn an den Schultern hielt. Es war eine angenehme, männliche, freundliche Stimme, und ihr etwas fremd klingendes Lagerdeutsch zeugte meinem Gefühl nach eher von einem gewissen Staunen, einer gewissen Verblüffung, als von Unwillen: «Was ? Du willst noch leben?» ,fragte er, und auch ich fand das, in der Tat, etwas komisch und unbegründbar, im Großen und Ganzen ziemlich vernunftwidrig von ihm, in diesem Moment. Und ich beschloss: Ich meinerseits werde vernünftiger sein. Aber da hatten sie sich schon über mich gebeugt, und ich musste zwinkern, weil sich eine Hand irgendwie in der Gegend meiner Augen zu schaffen machte, bevor sie auch mich auf die Ladung eines kleineren Karrens fallen ließen und mich irgendwohin zu schieben begannen, wohin, darauf war ich gar nicht so neugierig. Nur eines beschäftigte mich, ein Gedanke, eine Frage, die mir eben erst gekommen war. Mag sein, es war mein Fehler, dass ich es nicht wusste, aber ich war nie so vorausblickend gewesen, mich nach den Buchenwalder Gebräuchen, nach der Ordnung, der Verfahrensweise zu erkundigen, nämlich, mit einem Wort, wie sie es hier eigentlich machten: mit Gas, wie in Auschwitz, oder vielleicht mit Hilfe von Medikamenten, wovon ich dort ebenfalls gehört hatte; vielleicht mit der Kugel, vielleicht anderswie, mit einer der tausenderlei Methoden, für die meine Kenntnisse nicht ausreichten – ich wusste es einfach nicht. Auf jeden Fall hoffte ich, es würde nicht wehtun, und es mutet vielleicht seltsam an, aber diese Hoffnung war genauso echt, erfüllte mich genauso wie andere, wirklichere Hoffnungen – um es so zu sagen –, die man an die Zukunft knüpft. Und erst da habe ich erfahren, dass die Eitelkeit ein Gefühl ist, das einen anscheinend bis zum allerletzten Augenblick begleitet, denn wie sehr mir diese Ungewissheit auch zusetzte, ich richtete nicht eine einzige Frage, nicht eine einzige Bitte, nicht ein einziges Wort, keinen einzigen Blick nach hinten, zu dem oder denen, die mich schoben. Der hochgelegene Weg aber machte jetzt eine Biegung, und da unten tat sich mit einemmal eine weite Aussicht auf. Da lag das ganze Gelände, der riesige, dichtbevölkerte Abhang, die einförmigen Steinhäuschen, die schmucken grünen, und dazu, in einer gesonderten Gruppe, etwas düstere, vielleicht neue und noch nicht angestrichene Baracken, die gewundenen, aber sichtlich geordneten Drahtzaunhecken, welche die verschiedenen inneren Zonen voneinander trennten, und weiter entfernt die sich im Nebel verlierende Masse mächtiger, jetzt kahler Bäume. Ich weiß nicht, worauf bei dem Gebäude dort die vielen nackten Muselmänner warteten, umgeben von einigen auf und ab spazierenden Würdenträgern und, wenn ich es richtig sah, ja, in der Tat, an ihren Schemeln und ihren eifrigen Bewegungen erkannte ich sie: von Friseuren – sie warteten offenbar darauf, zum Bad und danach ins Lager eingelassen zu werden. Aber auch weiter innen, etwas weiter entfernt, waren die gepflasterten Lagerstraßen von Bewegung, leichter Beschäftigung, sachtem Treiben, den Zeichen des Zeitvertreibs belebt –

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